Ein bisschen Sinn soll sein
Behörden: Eine Aschaffenburger Firma erreicht, dass eine EU-Agentur nicht mehr blind Computern vertrauen darf
Nach dem Sieg des Reacheck-Anwalts Andreas Krellmann (42) aus der Aschaffenburger Kanzlei Bach/Singelmann/Orschler/Krebs ist die Botschaft klar: Ab und zu muss ein Wesen von Fleisch und Blut als Kontrolleur wirken. »Ein lange fälliger Schritt«, sagt Anwalt Krellmann - »worauf wir auch stolz sind«.
Um das Ausmaß des Erfolgs würdigen zu können, muss der Leser kurz in das Reich der Chemie und in die ähnlich komplizierte Welt europäischer Vorschriften eintauchen. In beiden Sphären bewegt sich die Aschaffenburger Firma Reacheck: Grob gesprochen, sorgt das Unternehmen von Stefan Oehrlein dafür, dass andere Firmen ihre Produkte ordnungsgemäß auf den Markt bringen können.
Im vorliegenden Fall geht es um Holzkohle (ausführliche Vorgeschichte in der Ausgabe vom 28. Februar 2015). Reacheck lässt im Auftrag von Händlern Holzkohle bei der Europäischen Chemikalienagentur (Echa) in der finnischen Hauptstadt registrieren.
Nur mit dieser offiziellen Nummer - so schreibt es die seit 2007 geltende EU-Verordnung Reach vor - dürfen Chemieprodukte verkauft werden. Das System wirkt durchdacht: Demnach teilen sich alle Produzenten und Importeure eines Stoffs die hohen Kosten für Laboruntersuchungen, die vor einer Registrierung nötig sind. Außerdem werden so Mehrfach-Tests, gar jedes Mal mit Tierversuchen, vermieden.
Das Problem dabei: Da die Echa Daten über die Stoffe ins Internet stellt, um Verbraucher aufzuklären, können die Informationen unrechtmäßig kopiert werden.
Ein Opfer davon war Reacheck. Während die Aschaffenburger die auf zwei Millionen Euro geschätzten Laborkosten für die Holzkohle-Tests unter Dutzenden von Firmen aufteilten, zahlte ein Unternehmen aus Bulgarien gar nichts. Es nutzte die offenbar kopierten Daten und beantragte in Helsinki eine eigene Registrierungsnummer, um so selbst mit Holzkohle Kasse zu machen.
Leichtes Spiel für Bulgaren
Das Verrückte daran: Die Registrierungsnummer konnten die Bulgaren kinderleicht bekommen. Offensichtlich mussten sie nur inhaltliche Lücken ihres Dossiers mit Blindtext füllen und dieses Paket in die Echa-Computer einspeisen. Denn die sogenannte Vollständigkeitsprüfung lief bisher »vollautomatisch«, gestand die Agentur, die nur zu Stichproben im Umfang von fünf Prozent aller Dossiers verpflichtet ist. Ihr EDV-System prüfe nur, ob »Informationen vorliegen«, nicht aber, ob »Text sinnvoll« sei, heißt es im Protokoll des Verfahrens der Echa-Widerspruchskammer.
Diese Instanz hatte Oehrlein mit Andreas Krellmann, dem Aschaffenburger Fachanwalt für Verwaltungsrecht, schließlich angerufen. Und siehe da: Reacheck bekam am 15. März 2016 recht (Aktenzeichen A-022-2013).
Die Kammer wischte die Argumentation der Agentur vom Tisch, wonach die reine EDV-Prüfung wegen der Arbeitslast durch viele Verfahren eine »praktische Notwendigkeit« sei. Vielmehr verpflichtete sie die Echa, zu prüfen, ob die eingereichten Unterlagen vollständig und sinnvoll sind.
In der Datenflut untergegangen
Die Kammer tadelte zudem die Agentur dafür, dass sie im Bulgarien-Fall das Prinzip »ein Stoff, eine Registrierung« verletzt hatte. Die Firma vom Balkan hätte demnach dem Antrag von Reacheck, dem »federführenden Registranten« für Holzkohle, beitreten müssen. Dass sie das nicht tat und stattdessen auf einen verbotenen Solotrip ging, war in der nach Helsinki geschwappten Datenflut offenbar untergegangen.
Nach dem Kammerbeschluss hat Echa offiziell mitgeteilt, dass sie bestimmte Dossiers erneut öffne - erst für Holzkohle, später auch für andere Stoffe. Falls Firmen fehlende Unterlagen nicht nachreichen könnten, verlören sie die Registrierungsnummer und damit den Zugang zum Markt, teilte die Echa am 8. April mit.
In der auf englisch verfassten Verlautbarung kommt tatsächlich das Wort »manual« vor - was heißt: Die Leute aus Helsinki lassen jetzt nicht nur Maschinen ran, sondern auch Zeitgenossen, die eine Hand haben - und hoffentlich Hirn.
Claus Morhart
