Das Lebensgefühl von damals
Mundart-Rock: Die Spider Murphy Gang in der Aschaffenburger Stadthalle - Eigene Lieder mit Rock'n'Roll-Klassikern kombiniert
Über die Doppelmoral der Spießbürger, die die Freudenhäuser außerhalb ihrer Stadtmauern verbannt und damit einer gewissen Rosie erst ein lukratives Geschäftsmodell eröffnet haben.
Der Rock'n'Roll verkörperte damals ein etwas in die Jahre gekommenes Lebensgefühl, dem die Herren Barny Murphy (Gesang und Gitarre), Michael Busse (Piano, Orgel und Gesang), Günther Sigl (Bass und Leadgesang) und der im vergangenen Jahr verstorbene Franz Trojan (Schlagzeug) mit bayerischen Texten ein zeitgemäßeres Outfit gegeben haben. Dass dieses Konzept auch heute noch funktioniert, macht der Auftritt der Spider Murphy Gang im gut besuchten Kirchnersaal der Aschaffenburger Stadthalle deutlich. Wobei der Bandname an diesem Abend fast schon ein Etikettenschwindel war: Von den vier Gründungsmitgliedern gehören inzwischen nur noch Murphy und Sigl zur Stammbesetzung - und Murphy musste sich wegen Quarantäne abmelden.
Ist also fast so, als würde Mick Jagger als die Rolling Stones oder Paul McCartney als die Beatles auftreten. »Unplugged« war das Gastspiel angekündigt, das wegen Corona schon viermal verschoben wurde. Doch Sigl und seine inzwischen sechs Mitmusiker - unter ihnen als Murphy-Ersatz der 1997 geborene Louis Thomaß - machten zwei Stunden lang mit viel Power ordentlich Randale.
Wobei sie wie in ihrer Anfangszeit die eigenen Lieder mit Rock'n'Roll-Klassikern kombinieren. Ob Adaptionen von Chuck Berry (Johnny B. Goode«), Canned Heat (»Going Up the Country«) oder Carl Perkins (»Blue Suede Shoes«) - das ist alles sehr stimmig. Der Elvis-Presley-Kracher »That's All Right, Mama« geht ohne Pause in die »Schickeria« über. Bei Bill Haleys »Rock Around the Clock« und dem unvermeidlichen »Skandal im Sperrbezirk« kann am Ende des bestuhlten Konzerts sogar getanzt werden.
Mit hämmerndem Klavier, ausgedehnten Schlagzeugsoli und langen Instrumentalpassagen erzeugen Spider Murphy - neben Günther Sigl spielen Wolfgang Götz (Tasteninstrumente und Akkordeon), Louis Thomaß (Gitarre), Andreas Keller (Schlagzeug), Willie Duncan (Gitarre), Dieter Radig (Bongo) und Otto Staniloi (Saxofon und andere Blasinstrumente wie Tuba oder Querflöte) - genau jenen ebenso typischen wie authentischen 1960er-Jahre-Sound, auf den ihr ebenfalls in die Jahre gekommenes Publikum voll abfährt.
Mit dabei ist seit vielen Jahren auch das Saxofon, dem die Band einst ihren Namen entlehnte: »Spider Murphy played the tenor saxophone« sang Elvis Presley einst in seinem »Jailhouse Rock«. Es ist eine wohl ewig junge Musik, die der inzwischen 70-jährige Sigl noch in »10, 20 oder 30 Jahren« spielen will. Mit Texten aber auch, die zumindest teilweise in den sehr jungen Jahren seines Lebens angesiedelt sind und heute schon ein bisschen seltsam anmuten - wenn Sigl den »Frosch im Hals« beim Rendezvous, die »Herzklopfen«, den Schultag oder die Gefühle für »Rosmarie«, das »Madel aus da Au«, in Worte kleidet.
Was sicher bleibt, ist dieses unbeschreibliche Gefühl, das ein »Sommer in der Stadt« - natürlich München - auslösen kann: Nackert durch den Englischen Garten laufen, im Biergarten eine Mass trinken oder gemütlich im Gras liegen. Davon kann man auch bei schlechterem Wetter als dem derzeitigen träumen.
