Absolute Liebe, nicht aufzuhaltendes Drama
Bühne: Mainfranken Theater Würzburg startet mit Schillers "Kabale und Liebe" in die neue Saison
Es kann, wenn dies so in sich stimmig, so ästhetisch, so spannend geschieht, wie jetzt am Mainfranken Theater Würzburg. Marcel Keller zeichnet nicht nur für die Regie, sondern auch für Bühne und Kostüme verantwortlich - und malt ein wunderbar rundes, schnörkelloses Bild, gleichermaßen historisch durchdacht wie zeitlos. In die Sprache des 18. Jahrhunderts hat man sich erstaunlich rasch eingehört.
Die Bürgerstochter Luise liebt den adeligen Präsidentensohn Ferdinand, die Väter der beiden sind gegen die Verbindung. Der Präsident und sein Haussekretär Wurm spinnen darauf böse Intrigen, um das Liebespaar zu entzweien. Das Drama nimmt seinen Lauf - und erst im Angesicht des Todes finden Ferdinand und Luise endgültig zueinander. Auf tragische Weise siegt am Ende doch die Liebe. Die Figuren wirken mit ihren Idealen - aus heutiger Sicht - zwangsläufig überzeichnet, sind aber in Kellers Inszenierung viel mehr als nur Stereotype: Sie fühlen sich fürs Publikum echt an. Feinsinnig arbeitet der Regisseur mit dem Ensemble die ungeschminkten Gefühle der Protagonisten heraus.
Da ist zunächst einmal Johanna Meinhard als Luise. Ihre Ohnmacht, ihre fehlende Fähigkeit, sich gegen die gesellschaftlichen Normen aufzubäumen, macht regelrecht sauer. Als emanzipierte Zuschauerin will man sie wachrütteln. Und gleichzeitig rührt ihre Unschuld an, auch ihre Fähigkeit so rein und kindlich zu lieben, Ferdinand wie auch die Eltern. Meinhard arbeitet das Tragische, auch die Abgeklärtheit der Figur fein heraus. Bastian Beyer ist ein Ferdinand, wie man ihn sich für "Kabale und Liebe" wünscht: Ein heißblütiger, aufbrausender Held, der für das gemeinsame Glück mit seiner Angebeteten alles täte, der das Duell fordert, sich gegen seinen Stand und den eigenen Vater wendet. Kurzum: Meinhard und Beyer bilden ein Sturm-und-Drang-Paar, wie man es sich für das tragische Bürgerspiel wünscht.
Daneben arbeitet Marcel Keller in der Würzburger Inszenierung bewusst auch den Kontrast zwischen den beiden Väter heraus - dem Musikus Miller (Matthias Fuchs) und Präsident von Walter (Thomas Klenk). Beide spielen großartig - der bürgerliche Vater, der für seine Tochter alles täte. Der Präsident, der für Karriere und die gesellschaftliche Stellung kaltschnäuzig das Glück seines Sohnes opfert. Mit Kälte und Dominanz steht Klenk dabei auf der Bühne. Brechen Gefühlsregungen aus ihm heraus, dann nur für Augenblicke und von cholerischer Natur.
Humor im Drama? Stefan Drücke als aufgetakelter, hochaffektierter Geck Hofmarschall von Kalb findet das richtige Maß. Auch Alexander Darkow, auf Würzburgs Bühne inzwischen für sein oft abgefahrenes Auftreten bekannt, will der Rolle des Wurm, Haussekretär des Präsidenten, Humoristisches geben. Mehr Zurückhaltung hätte hier mehr Tiefe bewirkt. In weiteren Rollen: Julia Baukus als Lady Milford, Eberhard Peiker als Kammerdiener und Edith Abels als Frau Miller.
Und noch eine muss unbedingt erwähnt sein: Cellistin Milena Ivanova sitzt, barfuß und im langen, roten Kleid auf der Bühne und untermalt die Ereignisse live. Die nicht gesagten Worte, die Stimmungen werden zu Klang, erreichen das Publikum auf subtiler Ebene. Doch das ist nur ein Element einer hochästhetischen Gesamtstimmung. Während Marcel Keller die Kostüme an die historischen Silhouetten des ausgehenden 18. Jahrhunderts anlehnt, hält er das Bühnenbild abstrakt.
Mit hohen Spiegeln, Türen und Wänden auf der Drehbühne baut er die verschiedenen Schauplätze: das Zimmer des Musikers, den Saal des Präsidenten, das Palais der Lady Milford. Die verschiedenen Räume eröffnen scheinbare Freiheiten, setzen Grenzen, zeigen, wie nah am Abgrund sich die Protagonisten immer wieder bewegen. Zudem spielt Keller mit Licht- und Farbeffekten, arbeitet den Gegensatz zwischen absoluter Liebe und kühlem Ränkespiel sichtbar heraus. Die Bühne gewinnt erstaunliche Tiefe.
Musik, die schönen Kostüme, die stimmigen Lichteffekte: Man denkt an Schillers Briefe "Über die ästhetische Erziehung", an seine Idee einer totalen Harmonie. Und tatsächlich ist es Bühnenharmonie, die den "Kabale und Liebe"-Besuch am Mainfranken Theater besonders lohnenswert macht. Und die Schillers Sturm-und-Drang-Klassiker ins Zeitlose rückt.
Zum Stück: Dauer: 180 Minuten (mit Pause); nächste Vorstellungen 15 Uhr: 13. Oktober; 18 Uhr: 16. Januar; jeweils 19.30 Uhr: 5., 11., 25. Oktober, 16., 27. November, 5., 10., 21. Dezember, 8. Januar. Stückeinführung ist jeweils 30 Minuten vor Vorstellungsbeginn im oberen Foyer.
