Hilfe für Jugendliche im Internet
Interview: Projekt "Digital Streetwork"
Was machen Streetworker?
Eike: Sehr vereinfacht gesagt, bieten Streetworker vor Ortniedrigschwellig und anonym Hilfe an. Es geht oft um Versorgung, zum Beispiel darum, für die Nacht einen Schlafplatz zu finden. Streetworkerleisten aufsuchende Arbeit. Sie gehen aktiv auf Personen zu und sprechendiese an, wenn sie den Eindruck haben, Hilfe könnte benötigt werden. Diese Unterstützung dann anzunehmen, ist freiwillig
Wieso braucht es Streetworker im digitalen Raum?
Das Forschungsprojekt digitales Streetworking verstehen wir nicht als Ersatz zum Angebot vor Ort, sondern als sinnvolle Ergänzung. Wir erweitern das Unterstützungsangebot von der Straße in den digitalen Raum. Das Internet, soziale Medien im Besonderen, nehmen im Leben der Jugendlichen einen immer größeren Platz ein. Und das nicht erst seit der Pandemie.
Aber seit dieser eben ganz besonders.
Das Projekt ist Teil des Aktionsplans Jugend des Bayerischen Staatsministeriums für Familie, Arbeit und Soziales, der die Jugendarbeit nach der Corona-Zeit wieder ankurbeln soll. Aber auch so erreichen wir im digitalen Raum andere Zielgruppen.
Welche?
Zum Beispiel gibt es Jugendliche, die unter sozialer Angst leiden und denen es schwerfällt, sich im persönlichen Gespräch zu öffnen. Denen bieten wir unkomplizierte Unterstützungsangebote per Privatnachricht auf sozialen Medien, Mail oder was eben gerade für sie passt. Ich hatte zum Beispiel vor Kurzem einen Kontakt, bei dem sich erst nach zwei Monaten herausstellte, dass die Person taubstumm ist. Unser Angebot füllt also bestimmte Lücken, bietet Vorteile, die andere Hilfsangebote vielleicht nicht bieten.
Gibt es auf diesen Plattformen nicht Datenschutzprobleme?
Wir weisen unsere Kontakte auf Twitter zum Beispiel immer sofort darauf hin, dass Nachrichten dort nicht end- zu endverschlüsselt sind und bieten ihnen an, auf sichere Alternativen zu wechseln. Es ist uns wichtig, unsere Kontakte zu schützen. Daher dürfen sie eben auch komplett anonym bleiben.
Führt diese Anonymität im Internet nicht sogar eher zu Problemen, als dass sie diese löst? Stichwort: Hass, Hetze unter dem Deckmantel der Anonymität?
Vieles im Internet läuft falsch, keine Frage. Einige Plattformen müssen ihre eigenen Regeln konsequenter umsetzen. Dennoch bin ich der festen Überzeugung, dass das Internet im Grunde eine wichtige und richtige Erfindung ist, die uns vieles ermöglicht. Kontakt über große Entfernungen zum Beispiel. Oder Menschen mit ähnlichen Interessen zu finden, wenn mir das vor meiner Haustür schwerfällt, weil ich etwa aus einem kleinen Dorf komme.
Nun sind Sie für Unterfranken zuständig. Ist es im Internet nicht unmöglich, örtliche Grenzen zu ziehen?
Das Internet funktioniert natürlich eher global als lokal. Aber ich als digitaler Streetworker kann mich mit sozialen Einrichtungen vor Ort vernetzen oder mit anderen Anlaufstellen, um Jugendliche, die aus dieser Region kommen, bei Bedarf passend weitervermitteln zu können. Auch kann ich auf den Plattformen gezielt nach der Region suchen, für die ich zuständig bin. Darüber hinaus haben wir uns die Arbeit im Team auch thematisch aufgeteilt, besonders, was die Plattformen angeht.
Was sind Ihre Schwerpunkte?
Ich bin viel auf Twitter unterwegs und auf Discord, einer Art Forum mit vielen Unterforen, sogenannten Servern, auf denen sich Leute zu bestimmten Themen austauschen. Auch auf TikTok bin ich dabei. Je nach Plattform erreicht man unterschiedliche Personen. Auf TikTok vor allem Jüngere, auf Twitter Personen eher über 18. Ich suche auf den Plattformen nach bestimmten Stichwörtern und schaue dann, welcher User Bedarf an Unterstützung haben könnten.
Was für Stichwörter sind das?
Ein Schwerpunkt meiner Arbeit ist Einsamkeit. Ich suche nach diesem Stichwort und wenn jemand auf Twitter zum Beispiel schreibt, dass er sich sehr einsam fühlt, dann poste ich darunter, was unser Projekt macht, wer ich bin, dass ich unter Schweigepflicht stehe und biete an, dass wir einfach mal quatschen können.
Weitere Themen, die mir immer wieder begegnen, sind Probleme mit der Familie, mit der Liebe. Aber auch Identitätssuche; manche Personen aus der queeren Community können Unterstützung gebrauchen, weil sie beispielsweise Diskriminierung erleben. Depression ist ein großes Thema. Viele trauen sich nicht, bei Angst oder Depression offen mit ihrem Umfeld zu reden und sind froh, mal das Herz ausschütten zu können. Zumal es gerade alles andere als einfach ist, einen Therapieplatz zu finden.
Wirkt es auf Leute nicht seltsam, wenn Sie sie einfach anschreiben?
Das erfordert Fingerspitzengefühl. Wir sind ein professionelles Angebot und präsentieren uns auch so. Es gilt, Vertrauen aufzubauen. Da kann es auch helfen, zum Beispiel erst mal eine Runde gemeinsam ein Videospiel zu zocken und der Person zu zeigen: Ich bin mit dir auf einer Wellenlänge, ich verstehe dich. Ich interessiere mich für dich, auch fernab deiner Probleme. Denn: Du bist mehr als dein Problem. Manche Menschen mit psychischen Problemen werden sehr auf diesen Aspekt ihrer Persönlichkeit reduziert. Es ist wichtig, ihnen zu zeigen: Hey, ich sehe dich, ich bin für dich da; aber du bist eben mehr als nurdeine Angst oder deine Depression. Und unsere Erfahrung zeigt: Es gibt sehr viel Bedarf, eigentlich könnten wir rund um die Uhr arbeiten.
Das tun Sie aber nicht, oder?
Ich bin kein Ersatz für einen Psychotherapeuten und ich kann nicht 24/7 erreichbar sein. Dafür gibt es dann etwa die Telefonseelsorge, an die wir bei Bedarf verweisen. Ein großer Teil unserer Arbeit ist Netzwerken. Also, dass wir wissen, wohin sich die Jugendlichen wenden können. Wir helfen zum Beispiel bei der Suche nach einem Therapieplatz. Meine Aufgabe ist es aber auch, den Jugendlichen Methoden an die Hand zu geben und Ihnen Mut zu machen, sich Hilfe zu suchen.
Wie meinen Sie das?
Eine Beobachtung ist, dass viele Jugendliche, die Hilfe bräuchten, diese nur schwer finden. Oder manche jungen Menschen glauben, dass sie damit anderen die raren Therapieplätze wegnehmen könnten. Ich sage dann immer: Du bist nicht dafür verantwortlich, dass das Therapiesystem überlastet ist. Wenn du Unterstützung möchtest, dann hast du sie auch verdient. Du musst damit nicht warten, bist du gar nicht mehr kannst, sondern du darfst dich auch präventiv um deine psychische Gesundheit kümmern.Wenn ich mir eine Sache wünschen dürfte, dann die, dass das soziale Stigma von Menschen mit psychischen Problemen weiter abnimmt.
Digital Streetwork ist ein Modellprojekt für junge Menschen zwischen 14 und 27 Jahren, ins Leben gerufen vom Bayerischen Jugendring (BJR). Gestartet ist es vor etwa einem Jahr. Aktuell ist es mit 14 Vollzeitstellen besetzt, die sich auf die Regierungsbezirke aufteilen. Das Projekt wird durch das Bayerische Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales gefördert und ist Bestandteil des Bayerischen Aktionsplans Jugend, der die Jugendarbeit nach der Corona-Zeit wieder ankurbeln soll. Das Projekt ist aus Mitteln des Staatsministeriums finanziert - rund 3,5 Millionen Euro fließen über die gesamte Projektlaufzeit von 2021 bis Ende 2022. Begleitet wird es vom Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis - JFF in München.
Zuständig für Unterfranken ist Eike. Er ist studierter Sozialarbeiter und kommt aus München. Der 26-Jährige hat sich schon immer über seine Tätigkeit hinaus für Medien interessiert, als Redakteur und Autor gearbeitet. Er Ist seit einem halben Jahr beim Projekt Digital Streetworker beschäftigt, sein Büro ist ebenfalls in München. Im Internet ist er zu finden unter eike_digitalstreetwork. Er versuche privat wie beruflich Datensparsamkeit zu üben. Deshalb nenne er weder im Netz noch in der medialen Öffentlichkeit seinen Nachnamen, sagt er.
Weitere Infos: https://www.digital-streetwork-bayern.de
