»Die Belegschaft mitnehmen«
Anabel Tèrnes: Expertin über Betriebliches Gesundheitsmanagement - Vortrag im Martinushaus Aschaffenburg
Frau Tèrnes, unsere Großeltern und Eltern hatten und haben auch stressige Jobs, aber erst die letzten Jahre ist allenthalben von Betrieblichem Gesundheitsmanagement die Rede. War es früher einfacher oder war man gleichgültiger am Arbeitsplatz?
Die Situation am Arbeitsplatz hat sich grundlegend geändert. Gut ausgebildete Fachkräfte können sich ihre Jobs aussuchen, das bedeutet, dass sich Unternehmen stärker um ihre Beschäftigten kümmern müssen, wenn sie sie halten wollen. Dazu kommt der digitale Wandel, der den Mitarbeitern Flexibilität abverlangt.
BGM ist eine freiwillige Leistung der Unternehmen, wie viele sind denn mit an Bord?
Man spricht von rund 35 Prozent. Es sind tendenziell große Unternehmen. Warum? Sie können neue Strukturen einfacher schaffen, sie haben dafür auch mehr Ressourcen. Außerdem ist das Bewusstsein für Gesundheitsmanagement in größeren Betrieben meist deutlich stärker ausgeprägt.
Welche Bedenken gibt es gegen BGM? Warum lehnen es Betriebe noch ab?
Es ist seltener der Fall, dass sie sich dagegen wehren, es ist eher eine Frage der Unkenntnis, dass sie die Priorität nicht richtig einschätzen können. Manche sehen es auch nur als Maßnahme zur Imageverbesserung, aber nicht den eigentlichen Wert dahinter: Dass sich BGM - eine gesunde Belegschaft - langfristig auch auszahlt.
Wie kann der Einstieg für ein Unternehmen aussehen, das mehr für seine Mitarbeiter tun möchte? Welche Fehler werden gemacht?
Ein Beispiel: Ein Unternehmen führt einen Obsttag ein und sagt: »Da müsst ihr alle teilnehmen.« Wichtig ist, dass die Belegschaft mitgenommen wird, dass sie einbezogen wird, von Anfang an das Gefühl hat, es geht um mich.
Wie geht man also vor?
Zunächst muss die Mitarbeiterstruktur analysiert werden. Habe ich viele Vertriebsmitarbeiter, die also außer Haus sind, dann sollte ich andere Aktionen starten als in einem Betrieb mit vielen Verwaltungsjobs. In einem Callcenter spielt der Faktor Lärm eine wichtige Rolle. Am besten beginnt man mit BGM konzentriert und fokussiert, nicht mit der Gießkanne oder dem Füllhorn. Mitarbeiter müssen BGM als ihre Sache verstehen. Ich sollte sie vorab fragen. »Wo drückt der Schuh am meisten?«
Was gibt es konkret an Aktionen?
Ein Anti-Raucher-Tag, ein Obsttag, ein Tag für die Entspannung. Vor allem ein Gesundheitstag kann ein guter erster Schritt sein.
Welche Bedenken haben Mitarbeiter?
Eines ist, dass sie befürchten, dass das BGM so viel kostet, dass die nächste Gehaltserhöhung verschoben wird. Ein anderes betrifft die Zeit: Die Frage also, ob Mitarbeiter, die Maßnahmen während oder außerhalb ihrer Arbeitszeit realisieren sollen. Und das regeln Unternehmen sehr unterschiedlich, je nachdem, wie sie für das Thema sensibilisiert sind. Und dann geht es auch um das Controlling. Wie wird meine Aktivität im BGM gemessen? Inwieweit kontrolliert das Unternehmen meine Gesundheit?
Welche Rolle spielen beim BGM die Kosten, kann sich das nur ein großes Unternehmen leisten?
Natürlich spielen die Kosten eine große Rolle. Allerdings fallen sie unterschiedlich aus. Zu einem Gesundheitstag kann ich einen Berater einer Krankenkasse holen, das kann günstig organisiert werden. Ebenso ein Obsttag. Ein Personaltrainer oder ein Masseur kostet schon mehr, ein eigener Fitnessraum erst recht.
Viele wissen nicht, dass Maßnahmen gefördert werden beziehungsweise steuerlich absetzbar sind. Drei Zahlen aus Umfragen dazu: Fast die Hälfte aller Unternehmen führen Gesundheitsmanagement nicht ein, weil es ihnen zu teuer ist, 70 Prozent, weil sie dem Tagesgeschäft Vorrang einräumen wollen. Aber 38 Prozent setzen auf das Gesundheitsmanagement, weil es die Reputation verbessert.
Bleiben wir bei der letzten Zahl: Besteht also die Gefahr, dass Gesundheitsmanagement eingeführt wird, um das Image aufzupolieren, dann aber nichts wirklich Sinnvolles gemacht wird?
Auf jeden Fall, so nach dem Motto: »Wir legen ein paar Äpfelchen aus, dass sieht gut aus…« Entscheidend ist, dass es positive Auswirkungen auf die Gesundheit hat - und zwar nachhaltig. Dieses Greenwashing ist aber eher eine Randerscheinung.
Andre Breitenbach
