Kleinste und größte Skulptur der Welt
Ausstellung: Thomas Feuersteins naturwissenschaftliches Labor in den Räumen des Frankfurter Kunstvereins - »Psychoprosa«
Es ist die erste Schau unter der neuen Leiterin Franziska Nori, die sich mehr mit gesellschaftlichen Problemen beschäftigen und über die Grenzen der Kunst hinausschauen will, auf die Naturwissenschaften etwa und die dort verhandelten Fragen.
Bewusstseinserweiternd
Auch der 47-jährige Thomas Feuerstein bewegt sich zwischen Kunst und Naturwissenschaft, mit einer Installation, die über alle drei Etagen des Kunstvereines verläuft. Eine spröde und erklärungsbedürftige Laborsituation, denn Feuerstein produziert eine neue bewusstseinserweiternde Substanz namens Psilamin. Gewonnen wird sie aus Dopamin, dem Glückshormon, das der menschliche Körper selbst produziert, von Feuerstein aber aus Algen hergestellt wird. Gemischt mit Psilocin aus Pilzen, schon von den Azteken als Droge erkannt, gewinnt Feuerstein sein neues Molekül, die »kleinste Skulptur der Welt«, wie er sagt.
Die ist freilich mit bloßem Auge nicht zu sehen, dafür aber grüne oder farblose Flüssigkeit, die durch zahllose Glaskolben und Schläuche gepumpt wird, vom »Gewächshaus« über die »Laborküche« bis zur »Fabrik« und dem »Kühlraum«. Dazwischen liegt ein Kino, in dem Feuersteins 90-minütiges Science-Fiction-Hörspiel in einem fast völlig dunklen Raum läuft, erleuchtet von einer Glasskulptur, über die Schleim rinnt.
Der Schleim nämlich ist das Abfallprodukt, der durch das ganze Haus fließt, bis er in raumhohen Gefäßen endet, aber auch dort hervorquillt und ununterbrochen in ein offenes Becken tropft. Mit 1200 Litern Schleim ist es »die größte Skulptur der Welt«, betont Feuerstein. Er meidet aber eine klinische Laborsituation, denn ihn interessiert der Schleim als bildhauerisches Produkt - entgegen der gängigen Vorstellung von Skulpturen aus festen Materialien. Diese Schleim-»Fabrik« ist der Höhepunkt und zugleich das Ende der Ausstellung.
Fakten und Fiktion
Daneben wird im »Kühlraum« - bestehend aus einem Turm von 30 Kühlschränken, die sich wie von Geisterhand öffnen und schließen - das synthetische Halluzinogen Psilamin in Dosen gelagert, ähnlich wie Piero Manzoni 1961 seine »Merde d’artista«, seine Künstlerscheiße, abgefüllt hatte.
Damals konnte Manzoni seine Kunst durch den Verkauf regelrecht vergolden, während Feuerstein mit seiner spektakulären Installation aus wissenschaftlichen Fakten und literarischer Fiktion einen philosophischen Diskurs über das Bewusstsein anstoßen will. »Psychoprosa« lautet denn auch der Ausstellungstitel, denn es geht um die Psyche mit ihren Wahrnehmungen und mentalen Zuständen, die aber in literarische Prosa gebettet ist.
So kann man die Ausstellung auf drei Ebenen betrachten: auf der naturwissenschaftlichen die Moleküle, auf der literarischen die Science-Fiction und auf der ästhetischen die Glasbehälter als Skulpturen. Folglich ist die alte Schreibmaschine nur ein nostalgisches Objekt, eine Allegorie auf die Zeit, als man noch Texte schrieb.
Künftig wird man stattdessen Atome manipulieren, meint Feuerstein. Passend dazu hat er das Alphabet der Schreibmaschinentastatur ersetzt durch die 118 bekannten chemischen Elemente. Schöne neue Welt, von Feuerstein in eine hintersinnige Installation gebracht.
b »Psychoprosa« 29. Mai bis 30. August im Frankfurter Kunstverein; geöffnet Dienstag, Mittwoch und Freitag 11 bis 19 Uhr, Donnerstag 11 bis 21 Uhr, Samstag/Sonntag 10 bis 19 Uhr. Katalog 34 Euro. Im Internet: www.fkv.de
Christian Huther
