Dem Talent ihrer Zeit voraus
Kinderstück: »Mozarts Schwester« erzählt am Mainfranken Theater Würzburg die Geschichte der zwei Mozart-Wunderkinder aus Nannerls Sicht
»Wieso erzählst Du nicht, wie stolz ich auf Dich bin?«, fragt Wölfchen seine große Schwester Nannerl. Als Kleinkind habe er ihr zugesehen, wie ihre Finger über die Tasten schwebten. »Das wollte ich auch!« Daniël van Klaverens Kinderstück »Mozarts Schwester« erzählt rückblickend die Geschichte einer der größten Musikerfamilien aller Zeiten aus ungewohnter Perspektive.
Maria Anna Walburga Ignatia Mozart, genannt Nannerl und selbst ein Wunderkind, ergreift das Wort und schildert, wie sie jene Zeit an der Seite ihres weltberühmten Bruders erlebte, in der es keinen (öffentlichen) Platz für Frauen gab. Zu erleben ist das vom Mainfranken Theater Würzburg auch als Klassenzimmerstück konzipierte Schauspiel im Keller Z87. Die Umsetzung in Regie von Annalena Maas ist einfallsreich, unterhaltsam und vor allem anrührend. Die Geschichte um Geschwisterliebe, Anerkennung und Gleichberechtigung lässt längst nicht nur die kleinen Theaterbesucher ebenso lachen wie nachdenken. Gleichzeitig werden in den gut 60 Spielminuten die zwei Künstlerkinderleben sehr anschaulich und poetisch nachgezeichnet.
Wie aber macht man als Regieteam das außergewöhnliche Musiktalent zweier Kinder sichtbar, ohne die Schauspieler selbst an ein Musikinstrument zu setzen? Auf Letzterem nämlich spielt bereits Adrian Siebers oder, wie es die Mozartkinder formulieren, »ein Adrian«; mal tönt reiner Mozart, mal reichert der Musiker die schönen Melodien um Percussion-Elemente an. Anouk Elias als Nannerl und Cedric von Borries als Wolfgang bewegen sich dazu rhythmisch, angelehnt an das aus Straßentanzformen hervorgegangene Tutting: Wie auf zweidimensionale Gemälde im Alten Ägypten werden Finger und Arme in rechten Winkeln bewegt, bilden Geraden, kreisen. Die schönen Klänge und die Choreografien verwandeln Musik in ein Hör- und Seherlebnis.
Die Geschichte selbst beginnt wie ein Märchen, auch die farbenfrohen, prächtigen Kostüme von Verena Salome Bisle erinnern daran. Die zwei Geschwisterkinder lieben einander, spielen vierhändig am Klavier, entwickeln ihre eigene Geheimsprache, entdecken auf ihrer Konzertreise die Welt, spotten gemeinsam über Könige, Fürsten und Botschafter. Dann allerdings reißt die Realität der Erwachsenen die Kinder aus ihrer Märchenwelt. »Nannerl, manche Leute verbitten sich ein Mädchen auf der Bühne«, teilt Vater Leopold seiner Tochter mit. Sie dürfe bei den Auftritten des Bruders dabei sein, das müsse reichen. Klavier spielt Nannerl ein Leben lang, doch fortan nur noch für sich selbst. Das pompöse, einschnürende Kleid legt sie auf der Bühne ab, nimmt im weißen, schlichten Gewand ihr Publikum mit ins Theaterfoyer, setzt sich dort selbst an den Flügel und spielt um der Musik willen. »Wolfgang, auch Du wärest in dieser Zeit höchstens Klavierlehrerin geworden«, wendet sie sich an den viel zu früh verstorbenen Bruder. Eine Spitze gegen sich selbst baut der niederländische Autor Daniël van Klaveren gar ein, als er das Mädchen bemerken lässt, dass das Schauspiel nicht von ungefähr »Mozarts Schwester« und nicht »Nannerls Bruder« heiße.
Anouk Elias als Nannerl zaubert einfühlsam und bewegend das Porträt einer jungen Frau, die mit ihrem Talent ihrer Zeit voraus ist und an gesellschaftlichen Konventionen scheitert, jedoch sich selbst ein Leben lang treu bleibt. Als Zuschauer und vor allem auch als Zuschauerin lacht und weint man mit ihr. »Jeden Tag meines Lebens spielte ich Klavier, weil ich es wollte«, sagt Nannerl. Nach dem Tod des Bruders kümmert sie sich um seinen Nachlass und sorgt dafür, dass bis heute alle Welt seine Musik spielt. »Und dass ihr sie hört«, wendet sie sich ans Publikum. Cedric von Borries als Mozart ist einerseits ein niedlicher Rotzlöffel, andererseits redet er in ernsten Momenten reflektierend, hinterfragt die Erwachsenenwelt. Auch ihn schließt man rasch ins Herz.
Thomas Klenk als Vater Leopold gelingt der Spagat zwischen dem einerseits liebenden Vater, dem die Enttäuschung der Tochter nahegeht, der andererseits aber vor allem doch an der Karriere des Sohnes interessiert ist. Für viel Humor auf der Bühne sorgt Hannes Berg in den überspitzten Rollen des Salzburger Erzbischofs und des italienischen Grafen. Der Erzbischof stopft sich Mozart(!)-Kugeln in die Backen und schiebt einen ähnlich geformten Kugelbauch vor sich her, ganz gegensätzlich zum hageren Grafen.
Das Theater empfiehlt das Schauspiel »Mozarts Schwester« für Kinder ab acht Jahren. Kleinere Besucher kichern über Kinderspiele und Albernheiten, größere Zuschauer nehmen viel Inhaltliches mit, werden doch die Leben beider Mozartkinder anschaulich erzählt. Mit Nannerl mitfühlen dürften dank der einfühlsamen Charakterzeichnung Klein wie Groß.
bDauer: 60 Minuten; nächste Vorstellungen im Keller Z87, jeweils um 15 Uhr: 28. November; 12., 19. und 26. Dezember; zudem jeweils um 18 Uhr: 12. und 26. Dezember.
Seit Mittwoch gelten in Bayern die neuen Corona-Maßnahmen, diese haben auch Auswirkungen auf den Spielbetrieb am Mainfranken Theater Würzburg: Da die Stadt Würzburg momentan nicht zu den Hotspots gehöre, halte man den Spielbetrieb weiterhin aufrecht, informiert Pressesprecherin Susanne Weiss. Sämtliche bislang geplanten Vorstellungen werden gespielt, allerdings nur mit einer maximalen Auslastung von 25 Prozent. Es herrscht FFP2-Maskenpflicht und jeder Zuschauer muss am Einlass neben dem Nachweis der vollständigen Impfung oder Genesung mit Lichtbildausweis einen zertifizierten, negativen Schnelltest vorlegen, der nicht älter als 24 Stunden ist. (mic)
