Fachkräftemangel auch im Landkreis Darmstadt-Dieburg
Handwerk: Viele Lehrstellen nicht besetzt - Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft zur aktuellen Lage
Deutschlandweit werden dringend Fachkräfte in Industrie, mittelständischen Betrieben und im Handwerk gesucht. Und in den letzten Tagen wurde bekannt, dass es in Deutschland etwa 233.000 unbesetzte Ausbildungsplätze gibt. »Das alles trifft auch bei uns im Landkreis auf unsere Betriebe zu. Auch da werden in unseren Handwerksbetrieben dringend Fachleute teils geradezu händeringend gesucht und gibt es freie Lehrstellen«, sagt der Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft Darmstadt-Dieburg, Rainer Lamp, der bereits seit 31 Jahren als Geschäftsführer aktiv ist und weiß, wie der »Laden läuft«. Und das derzeit nicht überall rund.»Viele Betriebe sind auf Monate ausgebucht«, so Lamp, der insgesamt 19 Handwerks-Innungen in der Kreis-Handwerkerschaft Darmstadt-Dieburg im Auge hat. Es fehlt an Fachleuten, die anpacken können - und teils auch an Material. Das Grundübel im Lande sei: »Es gibt bei uns hier zu viele Häuptlinge und zu wenige Indianer«, sagt Lamp. Viele Leute, die in Büros und im Homeoffice Pläne entwickeln und entwerfen und dann viel zu wenige, die in der Werkstatt diese in die Praxis umsetzen und ausführen, richtig praktische Arbeit leisten können.
Das alles könne man erleben, wenn man etwa einen tropfenden Wasserhahn repariert haben möchte, oder eine Waschmaschine, die nicht mehr richtig funktioniert. Da werde rasch das Dilemma sichtbar, das seit Jahren von einer fehlgesteuerten Bildungs- und Ausbildungspolitik verursacht worden sei: die Überbewertung einer akademischen Bildung und die Geringschätzung einer beruflichen Ausbildung.
Schon vor etwa zehn Jahren habe Julian Rümelin in einem Buch »Der Akademisierungswahn« das eigentlich europaweit vorliegende Grundproblem beschrieben. Und dabei auch erwähnt, dass die akademische Ausbildung immer »beliebiger und flacher« geworden sei. Die Autorin Cora Stephan beschreibt im erst vor etwa zwei Jahren erschienenen Buch »Lob des Normalen« über die Akademisierungswelle, dass die Zahl der Studenten heute zehnmal höher als vor 50 Jahren und »ein Studium heute nichts mehr Elitäres« sei. Und spricht von einem Hang zu »Geschwätzwissenschaften«, mit denen sich »im praktischen Leben wenig anfangen lässt« - außer in der Politik, den Medien oder in Betreuungs- und Beratungsposten. Sie beklagt die Abkehr von dem, was einst »die deutsche Stärke war« - die solide duale berufliche Ausbildung. »Die wird im Handwerk immer noch großgeschrieben«, betont Geschäftsführer Rainer Lamp und weist darauf hin, dass allerdings in der Politik und in der öffentlichen Diskussion die handwerkliche Arbeit zu wenig Anerkennung und Respekt finde.
Darunter hätten zum Beispiel besonders Bäcker und Fleischer bei der Suche nach Fachkräften und Auszubildenden zu leiden. Aber fast durchweg alle Handwerksberufe im Landkreis. Zwar sei während der Corona-Pandemie die Ausbildung etwas gebremst worden. Aber jetzt sei sogar die Nachfrage nach einer einst bei Jungen sehr gefragten Ausbildung zum Automechaniker oder -mechatroniker nicht mehr so lebhaft wie einst.
Und vor allem die Berufe, die mit energetischer Gebäudesanierung zu tun haben, litten enorm unter Fachkräftemangel. Das seien unter anderem die Heizungsbauer, Anlagenmechaniker, Dachdecker, Maler und Lackierer und Elektrotechniker und Installateure. »Da kommen fast pausenlos Nachfragen und Hilferufe an die Kreis-Handwerkerschaft«, so der Geschäftsführer, der sich »als Getriebener« in seinem Job bezeichnet. Bei ihm läuft eben vieles aus dem Landkreis zusammen. Bei ihm klingelt immer wieder das Telefon, sind Besprechungen fällig. Rainer Lamp spricht am Telefon in hohem Tempo, ist unter Volldampf. »Sonst ist das bei den vielen Terminen nicht zu schaffen«, so die Antwort.
Die Kreishandwerkerschaften Dieburg und Darmstadt sind 2010 zu einer fusioniert worden. Das Arbeitspensum ist größer geworden. Am 17. September steht eine Freisprechungsfeier in der Dieburger Römerhalle bevor, zu der von der Kreis-Handwerkerschaft eingeladen wird. Gesellen aus mehreren Innungen nehmen da nach meist dreijähriger Ausbildung ihre Gesellenbriefe entgegen. Die Präsidentin der Handwerkskammer Rhein-Main, Susanne Haus, ist als Festrednerin angekündigt und wird sicherlich auf die Vorteile der dualen Ausbildung eingehen und auf den Fachkräftemangel, unter dem auch das Handwerk zu leiden hat.
»Ausgebildete Gesellen sind Fachkräfte«, betont Geschäftsführer Lamp. »Sie haben eigentlich einen krisensicheren Job.« Und haben dazu Aufstiegsmöglichkeiten zum Meister, können eigene Betriebe gründen. Und in Hessen sogar die Möglichkeit, ein Studium draufzupacken. Trotzdem nutzen viele Jugendliche nicht die Chancen, die ihnen für eine berufliche Ausbildung geboten wird.
