Doppelabend im Mainfranken Theater Würzburg
Schönberg und Puccini als Kombination
Das abgründige Innenleben eines vom Selbsthass zerfressenen Künstlers hier; die mit herrlichem Sarkasmus erzählte Komödie über einen hinters Licht geführten geldgierigen Familienclan da. Der dichte, düstere Klang eines avantgardistischen Werks auf der einen, schwelgend-schöne Opernklänge auf der anderen Seite: Arnold Schönbergs Musikdrama "Die glückliche Hand" und Giacomo Puccinis "Gianni Schicchi" scheinen an einem Abend kaum kombinierbar.
Umso mehr fasziniert, dass es Regisseur Benjamin Prins und Generalmusikdirektor Enrico Calesso am Mainfranken Theater Würzburg auf regelrecht geniale Art glückt, die beiden Werke zu einer einzigen Erzählung zu kombinieren und selbst die zwei so unterschiedlichen Kompositionen ohne Pause ineinandergleiten lassen. Warum letztendlich auch nicht? Immerhin entstanden sie innerhalb eines Jahrzehnts, und die beiden Komponisten der frühen Moderne schätzten sich gegenseitig sehr.
Das Dreispartenhaus startete jetzt mit dem Doppelabend in der Theaterfabrik Blaue Halle in die neue Spielzeit. Erstmals seit mehr als einem Jahr war wieder das gesamte Opernensemble zu erleben - und auch den Orchestergraben in der Ausweichspielstätte in der Dürrbachau konnte das Philharmonische Orchester Würzburg endlich einweihen.
Ja, die 20 Schönbergminuten strengen an. Das liegt nicht an der Musik, im Gegenteil. Diese fesselt überraschend in der zur Uraufführung gebrachten, Schönbergs Orchestersatz radikal verschlankten Transkription für Bariton und Kammerensemble von Eberhard Kloke. Extrem dicht, prägnant, beklemmend und regelrecht überströmend erzählt Calesso mit seinem Orchester in der Musik von jenen geheimsten Wünschen, Ängsten und düsteren Sehnsüchten, die der namenlose Protagonist doch eigentlich verbergen will. Drei Frauenstimmen und drei Männerstimmen aus dem Off sirren wie alptraumartige Visionen durch den Raum. "Nur die Musik konnte mich befriedigen, aber die Musik hatte mich verraten", gleiten die Worte übers Bühnenbild. Wie Bariton Kosma Ranuer den Leidenden verkörpert, geht nahe, durch die anspruchsvolle Partie singt er sich glaubhaft.
Anstrengend vielmehr ist, dass man sich als Zuschauer der schonungslosen Inszenierung von Benjamin Prins kaum entziehen kann, wegschauen will und doch gebannt auf die brutalen Gestalten mit Ledermasken starrt, die dem Seelenleben und der Ich-Krise des Künstlers entspringen, ihn schlagen, quälen, sexuell nötigen, ihm die Hand abhacken und das Blut spritzen lassen. Das alles filmen die drei Gestalten gegenwartsecht mit Kameras. Schönberg selbst bezeichnete sein Werk als "ein Drama der gestörten Liebesbeziehung", wie es in Würzburg in aller Drastik zu erleben ist.
Dass es dann Enrico Calesso und seinem Orchester gelingt, die beiden Werke wie aus einem Guss miteinander zu verbinden, ist großartig. Natürlich weiß man, wann Schönberg endet, wann Puccini beginnt. Doch nirgends entsteht ein Bruch - und deutlich wird, wie viel Schillerndes, wie viel Reichtum an Klangfarben jenseits einer Zwölftonmusik im Schönberg-Werk stecken; und wie viel Modernes, wie viel zeitgenössische Musikdramatik sich gleichzeitig in der Puccini-Oper findet. Eben hier setzt Calesso an. Er wolle Puccini als großem Komponisten des 20. Jahrhundert gerecht werden, benennt er seinen Anspruch. Das glückt, ohne Frage.
Und der gleitende Übergang gelingt auch, weil die Geschichte direkt weitererzählt wird. Vielleicht war Schönbergs Namenloser ja tatsächlich Buoso Donati, soeben verstorben und von den Verwandten verflucht. Denn statt ihnen, hinterlässt er laut Testament der Kirche die Ländereien, das Haus, die Mühlen und das Maultier. Das Bühnenbild verändert Pascal Seibicke nicht, der zudem für die Kostüme verantwortlich zeichnet. Doch Licht erhellt den Raum nun taghell und weckt ihn und das Publikum aus den Alpträumen. Weiterhin bewegen sich die Protagonisten in einem Künstlerappartement, das im wandhohen Gemälde, einer Statue und kleinen Bildern auf die Homosexualität seines frischverstorbenen Besitzers anspielt. Vielleicht ja war Buoso eben deshalb familiärer Außenseiter und schrieb aus Rache jenes wenig familienfreundliche Testament. Um doch noch ans Erbe ranzukommen, ruft die geldgierige Familie den Gauner Gianni Schicchi, schmiedet mit ihm einen makabren Plan und fällt am Ende selbst auf den cleveren Trickser herein. Herrlich unterhaltsam, lässt Teil zwei des Doppelabends aufatmen, zurücklehnen und genießen: Die Handlung treibt feiner Sarkasmus voran, das Ensemble ist ungemein spielfreudig, die Musik zauberhaft - und am Ende gibt's sogar ein Happy End.
Kosma Ranuer ist nun in der Rolle des Gianni Schicchi zu erleben, augenzwinkernd singt er sich durch seine Partie, das Schelmenhafte, Durchtriebene in Augen und Stimme. Für den wohl schönsten Moment des Abends, am Ende garniert mit Bravorufen und Szenenapplaus, sorgt Akiho Tsujii, als sie als Schicchis Tochter das oft gehörte "O mio babbino caro" singt - mit kindlichem Charme, wunderschön elegant, zauberhaft zart und fern eines jeden übersteigerten Pathos.
Eigentlich haben alle Sängerinnen und Sänger ihre Bühnenmomente - Barbara Schöller als Cousine Zita etwa, wenn ihre Stimme vor Empörung ins Rauchige abdriftet, David Hieronimi als zittriger Clanältester, Hiroe Ito als zeternde Hausangestellte oder Roberto Ortiz als verliebter Heißsporn mit strahlendem Tenor. In weiteren Rollen: Mathew Habib, Silke Evers, Igor Tsarkov, Hinrich Horn, Marzia Marzo/Anne Pennisi, Taiyu Uchiyama, Jakob Mack, Paul Henrik Schulte und Tobias Germeshausen.
Dass "Gianni Schicchi" wunderbar ins Dante-Alighieri-Jahr zum 700. Todestag des großen Dichters passt, sei abschließend nur am Rande erwähnt, in dessen "Göttlicher Komödie" ist der Protagonist im achten Höllenkreis anzutreffen.
