»Übersetzer müssen Nischen suchen«

Norma Keßler:Präsidentin des Dolmetscherverbandes aus Aschaffenburg über Künstliche Intelligenz

Aschaffenburg
3 Min.

Kommentieren

Sie müssen sich anmelden um diese Funktionalität nutzen zu können.

Übersetzerin Norma Keßler aus Aschaffenburg, Präsidentin des BDÜ,
Foto: Ben Pakalski/BDÜ
SPD-Ge­ne­ral­se­k­re­tär Lars Kling­beil sorg­te vor ein paar Mo­na­ten für mäch­tig Auf­re­gung: »Ich neh­me mal nur das Bei­spiel der Über­set­zer. Die wird es in ein paar Jah­ren als Di­enst­leis­ter nicht mehr ge­ben, weil tech­no­lo­gi­sche Ent­wick­lung das über­flüs­sig macht.« Stimmt das?

Was sagt der Bundesverband der Dolmetscher und Übersetzer dazu? Präsidentin des Berufsverbandes ist Norma Keßler (Foto: Ben Pakalski). Sie lebt seit vielen Jahren in Aschaffenburg.

Die gebürtige Badenerin war Anfang der Neunziger Jahre an den Untermain gekommen. Sie ist wie die meisten in ihrer Branche selbstständig und führt ein Übersetzungsbüro. Ihr Spezialgebiet ist die Architektur, die Expertin übersetzt unter anderem Fachbeiträge für Zeitschriften aus dem Englischen in Deutsche. Wir haben mit Norma Keßler über ihre Berufsgruppe gesprochen.

Frau Keßler, Ihr Verband hat sich ziemlich aufgeregt über den SPD-Generalsekretär. Nur aus Pflicht oder aus Überzeugung?

Aus Überzeugung. Keine Frage, unser Beruf ändert sich. Aber im Zuge der Globalisierung und Vernetzung der Wirtschaft werden Sprachdienstleistungen nach wie vor dringend gebraucht, der Bedarf nimmt sogar in großem Ausmaß zu. Künstliche Intelligenz (KI) macht Übersetzungsprogramme zwar immer besser und hilft, diesen Bedarf überhaupt zu decken. Aber Maschinen können nicht alles.

Wo sind Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen denn den Maschinen überlegen?

Wenn es um Details geht, wenn es in einem Vertrag um jede Nuance geht. Oder wenn beim Arzt die präzise Übertragung einer Diagnose erforderlich ist. Ebenso, wenn eine Aussage vor Gericht gedolmetscht werden muss. Bei all diesen Beispielen sind die Fähigkeiten und die Intelligenz des Menschen gefragt.

Es gibt aber auch »Kooperationen«, wenn Menschen Maschinen endkorrigieren?

Ja, wir nennen das »Post-Editing«. Maschinell vorübersetzte Texte werden von uns nachbearbeitet, auf Fehler geprüft. Manchmal sollen wir nur grobe Fehler korrigieren, manchmal soll man dem Text nicht mehr anmerken, dass die Vorversion von einer Maschine stammt. Gerade das Post-Editing erfordert jedoch eine extrem hohe Konzentration, weil sich die Fehler häufig in einem vermeintlich richtigen oder richtig klingenden Text verstecken. Eine Aufgabe für Fachleute mit geradezu detektivischem Gespür also.

Heißt das, Sie bekommen bald keine Originaltexte mehr?

Nein, überhaupt nicht. Es gibt zunehmend Unternehmen, die dezidiert wünschen, dass ihre Texte gar nicht von Maschinen übersetzt werden. Und zwar aus Datenschutzgründen. Die Texte landen ja sonst irgendwo auf einem Server, in einer »Datenwolke«. Immer mehr Firmen sagen aber: »Wir wollen einen Menschen als Übersetzer, und unser Text soll nur auf dessen und unserem Rechner liegen.« Das Thema Datensicherheit wird also immer wichtiger.

Technische Anleitungen, Gebrauchsanweisungen und ähnliches übersetzt aber inzwischen vor allem Künstliche Intelligenz?

Ja, aber nicht nur. Bei technischen Texten, die eine einfache, klare Satzstruktur haben, in denen Textbausteine sich wiederholen, überall da sind vermehrt Computer im Einsatz. Manche große Unternehmen haben darüber hinaus ihre eigenen Übersetzungsmaschinen. Um autark und sicher zu sein.

Sind das beispielsweise Autobauer. Lassen die so ihre Prospekte übersetzen?

Ja, die Branche passt, zumindest für modular aufgebaute, einfache Texte. Aber Prospekte, die ins Marketing gehen, sind schon wieder ein Bereich, in dem man die Kreativität des Menschen braucht. Emotionen, bildliche oder mehrdeutige Sprache, Wortwitze - mit all dem kommt die Maschine nicht klar.

Wie geht die Branche mit der Entwicklung um?

Wir müssen uns den Herausforderungen stellen. Diese Entwicklung zu verteufeln, bringt uns nicht weiter. Wir nutzen die Technik, wo es sinnvoll ist selbst und integrieren sie in unsere sogenannten CAT-Systeme (Computer Aided Translation). Das hilft, wenn große Volumen zu übersetzen sind, aber die Kontrolle über die Übersetzungsarbeit bleibt immer noch in unserer Hand.

Im Herbst hat Ihr Verband eine Tagung unter dem Titel »Übersetzen und Dolmetschen 4.0 - neue Wege im digitalen Zeitalter« Wie sieht die Zukunft also aus?

Wir müssen uns spezialisieren. Übersetzer müssen sich Nischen suchen. Bei mir ist es eben die Architektur. Das kann auch im Bereich Patentrecht, Finanzen oder Medizin sein. Und schließlich gibt es Firmen, die bei ihren Texten eine ganz eigene Handschrift haben wollen. Es gibt viele Beispiele. Das Fazit ist: Der Massenmarkt wird zunehmend mit maschineller Übersetzung bedient werden.

Sie haben mir gerade eine Ihrer letzten Arbeiten gezeigt. In Ihrer Übersetzung ist vom »Zeitgeist« die Rede. Wie hieß das denn im englischen Originaltext?

Auch »Zeitgeist«, es gehört wie »Kindergarten« zu den Wörtern, die direkt ins Englische übernommen wurden.

Was gilt in Ihrer Branche als schwierige Sprache? Wenn noch andere Schriftzeichen dazukommen, wie im Arabischen oder Chinesischen?

Nicht unbedingt. Nehmen Sie Englisch, das kann - angeblich - bald jeder, aber das richtige, feine Englisch, das ist auch sehr schwierig. Ich mache den Schwierigkeitsgrad eher an der Frage der kulturellen Unterschiede fest. Kürzlich habe ich mit einem Kollegen gesprochen, der Igbo - eine Sprache in Nigeria - anbietet. Der erzählte mir, schon das Wort »Gericht« im juristischen Sinn ist schwer zu übertragen, weil das dahinterstehende Konzept in dieser Sprache anders ist. Andere Kulturen haben einen ganz anderen Eigentumsbegriff, all dies macht Übersetzen und Dolmetschen zu einer komplexen Aufgabe aus Sprachkenntnis, Fach- und Kulturwissen. Und da findet eine Maschine schnell ihre Grenzen.

Und wann würden Sie eine Übersetzung als gelungen und gut bezeichnen?

Eine gute Übersetzung merkt man nicht, eine schlechte fällt sofort auf. Das gilt übrigens auch fürs Dolmetschen.

bWas kann die Maschine? Wir haben dieses Interview mit dem bekannten Übersetzungsprogramm deepL ins Englische übersetzt und Norma Keßler gebeten, die Übersetzung zu kontrollieren. Das Ergebnis unter www.main-echo. de

Hintergrund: BDÜ

Der Bundesverband der Dolmetscher und Übersetzer (BDÜ) repräsentiert nach eigenen Angaben rund 80 Prozent aller organisierten Übersetzer und Dolmetscher in Deutschland - derzeit hat er rund 7500 Mitglieder, die zusammen rund 90 Sprachen anbieten. Der Bundesvorstand wird regelmäßig neu gewählt. Seit 2018 leitet Norma Keßler aus Aschaffenburg als Präsidentin den Berufsverband.

Nach Schätzungen soll es in Deutschland etwa 40 000 Dolmetschern und Übersetzern geben. Die Justizbehörden haben laut Norma Keßler rund 24 000 Experten registriert. (bach)

Hintergrund

» Emotionen, Wortwitze -

mit all dem kommt

die Maschine nicht klar. «

Norma Keßler über Grenzen der KI

Kommentare

Um Beiträge schreiben zu können, müssen Sie angemeldet und Ihre E-Mail Adresse bestätigt sein!


Benutzername
Passwort
Anmeldung über Cookie merken
laden
Artikel einbinden
Sie möchten diesen Artikel in Ihre eigene Webseite integrieren?
Mit diesem Modul haben Sie die Möglichkeit dazu – ganz einfach und kostenlos!