Don Luigi Ciotti: »Die Mafia ist auch ein deutsches Problem«

Interview mit dem italienischen Priester und Träger des Aschaffenburger Mutigpreises 2017

Aschaffenburg
3 Min.

Kommentieren

Sie müssen sich anmelden um diese Funktionalität nutzen zu können.

Mehr zum Thema: Mutig-Preis - die Aschaffenburger Auszeichnung
Aschaffenburg, Dalberg Gymnasium Mafia-Jäger Luigi Ciotti
Kämpft für Benachteiligte: Pfarrer Luigi Ciotti. Foto: Bj
Foto: Björn Friedrich
Beten, spenden und auf bessere Zeiten hoffen: Das ist nichts für Don Luigi Ciotti. Seit mehr als 20 Jahren macht sich der Priester aus Turin mit seiner Organisation »Libera« (»frei«) gegen die italienische Mafia stark. Dafür erhält er nun den Aschaffenburger Mutigpreis. Ciotti betrachtet ihn als Anerkennung für die Hilfsorganisation »Gruppe Abel«, in der er sich engagiert. »Ich würde den Preis nicht akzeptieren, wenn er nur für mich wäre, sagte er im Gespräch mit unserer Redaktion.
Don Luigi, sind Sie ein mutiger Mensch?
Ich würde mich nicht als außerordentlich mutig bezeichnen. Ich nehme nur meine Verantwortung gegenüber meinen Mitmenschen wahr. Und ich versuche, auch andere dazu zu bewegen.

Wovor haben Sie Angst?
Ich habe nur eine Befürchtung: Dass man nicht bemerkt, dass die Mafia nicht nur ein italienisches, sondern ein internationales Problem ist. Die deutsche Polizei zählte vergangenes Jahr 500 hochrangige Mafiosi in Deutschland.

Das 1995 gegründete Antifmafia-Netzwerk Libera unterstützt Initiativen, die von der Mafia konfiszierte Ländereien und Immobilien bewirtschaften. Mittlerweile koordiniert Libera 1600 Sozialprojekte und Kooperativen, die ihre landwirtschaftlichen Produkte unter der Marke »Libera terra« verkaufen. Auch Tausende Schüler und Studenten helfen mit – die Vereinigung unterhält Kontakte zu mehr als 5000 Schulen und 60 Universitäten.

Inwiefern macht das Libera-Netzwerk der Mafia zu schaffen?
Indem es ihr den Nährboden entzieht. Die Projekte zeigen jungen Leuten, wie sie auf legale Weise ihren Lebensunterhalt verdienen können. Wir unterstützen die Frauen der Mafia-Clans, die aus Liebe zu ihren Kindern versuchen, die Organisation von innen heraus zu zerstören. Wir haben erreicht, dass Straftäter eine Bewährungsstrafe erhalten, wenn sie bei einer Libera-Initiative arbeiten. Wir wollen die Mafia schlagen, indem wir uns um alle kümmern: Die Kinder, die Frauen, die Straftäter. Und indem wir dafür sorgen, dass ihnen ihr Besitz weggenommen wird. Das trifft die Mafiosi härter als viele Jahre Gefängnisaufenthalt.

Welche Bilanz ziehen sie nach 20 Jahren?
Auf jeden Fall eine positive. Dank der Arbeit von Polizei und Justiz, aber auch dank engagierter Bürger gibt es heute ein größeres Bewusstsein für die Probleme, die durch die Mafia entstehen. Italien hat die besten Gesetze der Welt gegen die Mafia, doch die Bürger haben verstanden, dass auch sie ihren Beitrag leisten müssen.
Allerdings haben sich die Mafia-Organisationen in den vergangenen Jahrzehnten verändert: Sie sind weniger militärisch, dafür mehr profitorientiert. Sie arbeiten nicht mehr gegen den Staat, sondern sind eng mit Politik und Wirtschaft verknüpft. Heute geht es weniger um Drogenkriminalität, sondern mehr um öffentliche Aufträge. Die neuen Bosse sind nicht mehr militärisch organisiert, es sind Geschäftsleute.

Die Mafia ist ein gefährlicher Gegner, der auch Geistliche nicht verschont. Mehrere Priester wurden bereits von Mafia-Killern erschossen. Spätestens seit 2014 ist Don Luigi Ciotti auf der Todesliste der Mafia. Salvatore Riina, Chef des Corleone-Clans, sagte im Gefängnis gegenüber einem Mithäftling: »Ciotti, den können wir ruhig umbringen.« Seitdem steht der Aktivist Ciotti unter Polizeischutz – auch in Deutschland: Zeit und Ort der Mutigpreis-Verleihung sollen zu Ciottis Sicherheit vorab nicht bekannt gegeben werden.

Wie sehr beeinträchtigt Sie das Todesurteil durch die Mafia?
Meine Arbeit hat sich sehr geändert. Ich kann nicht mehr einfach wie früher als Straßenpriester arbeiten. Jetzt nutze ich meine Popularität dafür, die Arbeit, die ich früher gemacht habe, anderen Leuten zu ermöglichen. Ich will ohnehin Platz machen für die neue Generation. Mit 72 Jahren muss ich auch daran denken, wer nach mir die Arbeit weiter führen soll.

Hatten Sie schon daran gedacht, Ihr Engagement gegen die Mafia einzuschränken?
Nein. Ich bin nur einer von von vielen Aktivisten. Man kann einen einzelnen Menschen töten, nicht aber eine ganze Bewegung, von der dieser Mensch nur ein kleiner Teil ist.

Der Mann, der Sie auf die Abschussliste setzte, ist vor zwei Wochen gestorben.
Dadurch wird sich aber nichts ändern. Das Machtvakuum wird sich bald wieder füllen. Es gibt aber einen Lichtblick.

Welchen?
Riina ist tot, aber die Menschen, deren Tod er zu verantworten hat, seine unschuldigen Opfer, sie werden in unserer Erinnerung weiterleben. Das italienische Parlament hat den 21. März, den ersten Frühlingstag, zum Gedenktag für die Mafiaopfer ernannt.

In der katholischen Kirche hat Luigi Ciotti einen mächtigen Verbündeten: Papst Franziskus verurteilte 2014 die Verbrechen der Mafia-Organisationen und erklärte deren Mitglieder für exkommuniziert.

Was bedeutet die Positionierung des Papstes für den Kampf gegen die Mafia?
Es gibt einen Bewusstseinswandel auch in der Kirche. Franziskus hat eine Arbeitsgruppe einberufen, die die illegalen Machenschaften der Mafia aufdecken soll. Vieles hat sich zum Besseren verändert.

Zum Beispiel?
Viele parareligiöse Gruppierungen, die die Mafia verehren, sind von den Bischöfen aufgelöst worden. Außerdem arbeitet eine Gruppe von Theologen daran, die Exkommunikation der Mafiosi zu konkretisieren. Bislang gibt es ja nur die mündliche Aussage von Papst Franziskus. Und schließlich ist die italienische Kirche ein Teil des Libera-Netzwerks geworden. Wir sind aber nicht konfessionell, bei uns ist Platz für alle. Gott ist schließlich auch nicht katholisch, er ist der Gott von uns allen. 

Mehr Infos: Die Mafia in Italien (Link)
Kommentare

Um Beiträge schreiben zu können, müssen Sie angemeldet und Ihre E-Mail Adresse bestätigt sein!


Benutzername
Passwort
Anmeldung über Cookie merken
laden
Artikel einbinden
Sie möchten diesen Artikel in Ihre eigene Webseite integrieren?
Mit diesem Modul haben Sie die Möglichkeit dazu – ganz einfach und kostenlos!