Die lokale Politik, mal ganz wissenschaftlich betrachtet

Themenwoche Kommunalwahl (2): Wissenschaftler Martin Gross sagt, das sei fast ein Vollzeitjob

Aschaffenburg
4 Min.

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Martin Gross, Politikwissenschaftler an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Foto: Michael Heyde
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Es ist schon paradox: Die geringste Wahlbeteiligung gibt es bei Kommunalwahlen, sagt der Politikwissenschaftler Martin Gross (unser Bild zeigt die Auszählung in Aschaffenburg 2014). Dabei sind Kommunalpolitiker die Politiker, denen die Wähler am meisten vertrauen. Archivfoto: Björn Friedrich
Foto: Bjoern Friedrich
Fast 40.000 Menschen engagieren sich in Bayern im Kreistag oder im Stadt- oder Gemeinderat. Trotzdem gibt es nur wenige Wissenschaftler, die sich mit ihnen beschäftigen. Einer von ihnen ist Martin Gross von der Ludwig-Maxiilians-Universität München. Im Interview erzählt der Politikwissenschaftler, warum die Erforschung der Kommunalpolitik so schwierig ist.

In seiner Doktorarbeit beschäftigte sich Martin Gross mit schwarz-grünen Koalitionen in deutschen Großstädten. Außerdem arbeitet der 33-Jährige an einem Online-Programm zur Analyse lokaler Parteiprogramme mit.

Herr Gross, es gibt nur wenige Wissenschaftler, die sich mit Kommunalpolitik beschäftigen. Warum?

Die Kommunalpolitik ist in der Wissenschaft noch immer ein Nischengebiet. Es gibt Juristen, die sagen, die Kommunalpolitik sei keine richtige Politik, sondern nur eine Form der Selbstverwaltung. Ich würde dem vehement widersprechen. Erst seit den 90er-Jahren interessiert sich auch die Politikwissenschaft für das, was früher abfällig Dorfpolitik genannt wurde.

Was interessiert Sie daran?

Zum Beispiel, welche Ähnlichkeiten und Unterschiede es zur nationalen Politik gibt. Wie setzen sich die Gemeinderäte zusammen? In welcher Machtbeziehung stehen sie zum Bürgermeister? Arbeiten Gemeinderäte eher konfrontativ oder konsensorientiert? In der Forschung liegt der Fokus auf den Großstädten. Bei kleineren Gemeinden ist es schwierig, an Daten zu kommen. Die Kreistage sind fast gar nicht erforscht.

Was kann die Kommunalpolitik leisten?

In Bayern haben die Kommunen recht viel Handlungsspielraum. Zum Beispiel sind die Kommunen für den Schulbau zuständig, das vergisst man oft. Die Kommunen entscheiden auch, inwiefern sie ihre Vereine stärken, welche Schwerpunkte die Stadtwerke setzen sollen, wie der Verkehr im Ort gestaltet werden soll.

Die Gesetze werden aber von Europa, dem Bund oder dem Land gemacht.

Die Kommunen sind für die Umsetzung verantwortlich. Wenn sie zum Beispiel Ausgaben im Bereich Migration oder Hartz IV haben, die vom Bund festgelegt werden, müssen sie an anderer Stelle Kosten einsparen.

Welche Rolle spielt dabei der Bürgermeister?

In Süddeutschland haben die Bürgermeister traditionell eine starke Stellung. Das haben die norddeutschen Bundesländer erst in den vergangenen Jahrzehnten übernommen. Wenn ein Bürgermeister direkt gewählt wird, hat er gegenüber dem Ratsgremium mehr Gewicht. Mir fehlt in Bayern und Baden-Württemberg allerdings ein Punkt: Dass hier die Wähler nicht die Möglichkeit haben, den Bürgermeister abzuwählen. In allen anderen Bundesländern ist das möglich.

Zwei Gemeinden im Kreis Miltenberg lehnten per Bürgerentscheid einen hauptberuflichen Bürgermeister ab. Ist Kommunalpolitik denn überhaupt noch ehrenamtlich zu schaffen?

In kleinen Gemeinden dürfte das noch ehrenamtlich machbar sein, in größeren nicht mehr. Das gilt auch für die Arbeit der Stadträte. In mittelgroßen Städten bringen Ratsmitglieder 12 bis 18 Stunden pro Monat für ihr Mandat auf, in Großstädten sind es durchschnittlich 24 Stunden pro Woche. Das ist schon fast ein Vollzeitjob. Zusätzlich wird von den Ratsmitgliedern erwartet, dass sie sich abends und am Wochenende beim Vereinskonzert und beim Dorffest zeigen.

Bekommen Kommunalpolitiker genügend Anerkennung?

Was das Finanzielle betrifft: Nein. Die Aufwandsentschädigung ist zu gering. In Großstädten entspricht die Arbeit der Stadträte fast der von Abgeordneten eines kleinen Bundeslandes. Dennoch gibt es für sie nicht viel zu gewinnen außer vielleicht einem gewissen Prestige. Es ist schon paradox: Wenn man Wähler befragt, welchen Politikern sie am meisten vertrauen, sind das immer die Kommunalpolitiker. Teilweise besteht die Meinung, dass die kommunale Ebene wichtiger sei als die nationale oder die europäische Ebene. Und trotzdem gibt es bei den Kommunalwahlen immer die geringste Wahlbeteiligung.

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Quelle: Manuela Klebing

Ein Bürgermeister in unserer Region hat beklagt, dass verbale Angriffe gegen Gemeinderatsmitglieder zunehmen, auch im Internet. Schaden die Sozialen Medien der Demokratie?

Ja und nein. Die Angriffe betreffen nicht nur Ratsmitglieder, sondern auch die Mitarbeiter von Verwaltungen, gerade in kleineren Gemeinden. Das hat sich in anonymen Umfragen herausgestellt, wurde aber in den Medien nicht groß thematisiert. Social Media schaffen natürlich mehr Transparenz, die Bürger bekommen mehr mit, das erzeugt Interesse. Gleichzeitig bieten Social Media eine größere Angriffsfläche. Politiker twittern und posten ja selbst und müssen dabei Sachverhalte verkürzt darstellen. Damit provozieren sie sowohl Lob als auch Kritik.

In einem Dreivierteljahr sind Kommunalwahlen in Bayern. Welche Trends können wir erwarten?

Das ist ganz schwer vorherzusagen. Die Zeit bis dahin ist lang, und sollte es vorgezogene Bundestagswahlen geben, sieht alles wieder ganz anders aus. Ich könnte mir aber vorstellen, dass der Aufschwung der Grünen anhält und dass es in größeren Städten durchaus grüne Bürgermeister oder Oberbürgermeister gibt. Durch starke Grünen-Fraktionen wird sich in den Räten auch die Koalitionsbildung verändern.

Werden die Freien Wähler von ihrer Beteiligung an der Staatsregierung profitieren?

Sie werden vermutlich nicht mehr so große Zuwächse haben. Kommunalwahlen werden zu einem gewissen Grad auch als Nebenwahlen gesehen. Da ist es eher so, dass die Landesregierung verliert. Allerdings werden die Freien Wähler wohl nicht richtig abstürzen, dafür sind sie zu gut in den Kommunen verankert.

In den Städten und Gemeinden halten sich die unabhängigen Wählergruppen zugute, dass sie jenseits von Parteischranken Politik machen. Ist das mehr Vor- oder Nachteil?

Beides. In manchen Dörfern treten die großen Parteien gar nicht erst an oder unterstützen die Listen anderer Parteien. Der Vorteil daran ist, dass es den Beteiligten leichter fallen kann, vor Ort Probleme ohne den Einfluss von Parteiideologien anzugehen. Der Nachteil ist: Wenn die Parteien vor Ort nicht verankert sind, geht die Rückkoppelung zu den Kommunen und ihren Anliegen verloren. In der SPD wurde jüngst die Forderung erhoben, dass ein Oberbürgermeister in eine gehobene Parteiposition kommen soll. Ich halte das für eine gute Idee, um die Anbindung an die Kommunen zu stärken.

Hintergrund: Was das Kommunalrecht in Bayern so besonders macht

In Deutschland gibt es 16 Bundesländer mit eigenen Regelungen und Traditionen in der Kommunalpolitik. Für Wissenschaftler ist das zuweilen ein Grund zum Verzweifeln: Was so unterschiedlich ist, lässt sich schwer vergleichen und analysieren.

Für einen Politikwissenschaftler ist das allerdings ein Ansporn. Christian Rademacher leitet an der Uni Passau ein Projekt der Deutschen Forschungsgemeinschaft, das die Ergebnisse von Kommunalwahlen vergleichbar macht.

Das besondere an Bayern: Hier - wie auch in Baden-Württemberg - hat die so genannte Süddeutsche Ratsverfassung eine lange Tradition. Bürgermeister werden direkt gewählt, die Rathauschefs haben eine starke Stellung gegenüber dem Rat und der Verwaltung. Andere Bundesländer wie Niedersachsen oder Nordrhein-Westfalen haben dieses System erst in den 1990er-Jahren übernommen.

Doch noch immer gebe es kleine, aber feine Unterschiede, sagt Rademacher. Zum Beispiel, dass in Bayern kommunale Wählergemeinschaften besonders stark sind: »In Nordrhein-Westfalen kannte man in den Räten lange Zeit nur zwei, drei Parteien.«

»Bayern hat ein sehr demokratisches Wahlrecht«, sagt Uwe Kranenpohl, Professor an der Evangelischen Hochschule Nürnberg: Durch Kumulieren und Panaschieren der Stimmen könne jeder Wähler seinen eigenen Rat zusammen stellen. Einen Vorteil sieht auch er in der Direktwahl von Bürgermeistern und Landräten: »Sie müssen aber in Kauf nehmen, dass die Bürger erwarten: Ich hab dich gewählt, jetzt musst du was für mich tun.«

SABINE DREHER

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