Die Lautmalerei der Jugend

Schülerakademie Untermain: 10 Mädchen aus dem Mainviereck machen Poetry Slam

Mainaschaff
5 Min.

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Die Mädchen des Poetry-Slam-Kurses der Schülerakademie in der Obernburger Kochsmühle. Foto: Heinz Linduschka
Foto: Heinz Linduschka
In ei­nem der ak­tu­el­len Kur­se der Schü­ler­a­ka­de­mie Un­ter­main ha­ben sich zehn Mäd­chen aus sie­ben Gym­na­si­en zwi­schen Amor­bach (Kreis Mil­ten­berg) und Aschaf­fen­burg für den Kurs »Poe­try Slam« am Ju­li­us-Ech­ter-Gym­na­si­um El­sen­feld (Kreis Mil­ten­berg) ent­schie­den.

Sie haben schon etliche öffentliche Auftritte absolviert, beispielsweise einen Abend in der ausverkauften Kochsmühle Obernburg (Kreis Miltenberg) Ende November zum Thema der Ausstellung »Heimat ist überall«, die Teilnahme am U 20-Slam in der Stadtbücherei Miltenberg, und eine Teilnehmerin, Anna Stock, nahm mit Erfolg am »Best-of-Poetry-Slam« mit »Profi«-Slammern aus ganz Deutschland teil.

Die Texte der Schülerakademie zeichnen sich durch ihren eigenen Rhythmus aus, wirken oft spontan und leben durch die Performance auf der Bühne. Binnen- und Haufenreime, Wort- und Sprachspiele und andere Stilmittel werden gezielt eingesetzt, um die Zuhörer anzusprechen und um authentisch Stimmungen und Gefühle zu vermitteln.

Die 14-jährige Anna Stock ist eines der zehn Mädchen im Kurs der Schülerakademie. Sie war im November beim »Best-of-Poetry-Slam« in der Obernburger Kochsmühle mit Profi-Slammern aus ganz Deutschland erfolgreich. Anna Stock lebt in Mainaschaff (Kreis Aschaffenburg) und besucht die 8. Klasse des Dessauer-Gymnasiums Aschaffenburg. Von Anna veröffentlichen wir zwei Slam-Beiträge mit Gedanken zum Leben in Zeiten von Corona.

Anna Stock: Stillstand

Wann wird das zu Ende sein?

Das Alles?

Unwissenheit.

Langsam ist es nicht mehr erträglich

und man fragt sich täglich, was hier gerade überhaupt abgeht

und wann das alles wieder vergeht.

Unwissenheit.

Ich realisier´ das Alles nicht,

ich kapier´ es nicht,

ich hinterfrage,

doch egal was ich in dieser Lage sage,

ich bekomme keine Antwort.

Verwirrung.

Ein Virus geht um die Welt,

die Schule entfällt,

Menschen sparen ihr Geld,

jeder, der sich anders verhält:

Sonst geht es immer um´s Parieren.

Und wo sind sie jetzt, die Manieren?

Für 3 Kilo Mehl und 5 Packungen Toilettenpapier verlieren Menschen ihr Gespür,

vergessen, wofür es wirklich wichtig ist zu kämpfen.

Ich steh´ im Supermarkt an der Kasse, schau´ hinter mich.

Eine Frau mit 6 Packungen Klopapier (natürlich mit 4 Lagen),

fängt an zu klagen, dass es so lange dauert und schiebt sich mit ihrem vollen Wagen an mir vorbei.

Scheiß auf den Mindestabstand, Hauptsache ich habe Klopapier für die nächsten Wochen.

Als ob es das morgen nicht auch noch geben wird.

Die Blicke anderer sagen alles.

Sie haben verstanden, worauf es ankommt.

Auf Hilfsbereitschaft, Anstand, Respekt.

Ich selbst schaute auf meine Hand, in der sich tatsächlich auch eine Packung Klopapier befand.

Daheim grölt irgendein reicher Typ im Fernsehen »Stay-at-home« vom Bildschirm, während er in seiner Villa am Pool chillt.

Früher hat man gegen sie gehetzt und jetzt wird die Arbeit von Krankenschwestern, Müllmännern, Verkäufern auf einmal geschätzt.

Aber braucht man wirklich einen Virus, um zu dieser Erkenntnis zu gelangen?

Das Leben ist für mich wie ein Gummi.

Es schnellt jetzt zurück.

Das Leben.

Wir haben es zu lange zu sehr gespannt.

Wir sind zu schnell gerannt. Gerannt. Davongerannt. Weggerannt. Vor der Zeit.

Von einem Land, an den nächsten Strand.

Es ging nur noch um Spaß haben, arbeiten, Geld ausgeben.

Nach der Devise: Hauptsache mir geht's gut!

Wir Menschen hatten uns verändert, waren kalt geworden.

Machten uns um andere keine Sorgen,

waren egoistisch.

Wir hatten kein Herz mehr,

waren nicht mehr fair,

dachten nicht mehr quer,

waren arrogant.

Wir konnten nicht mehr gönnen oder uns für andere freuen.

Waren geizig.

Wir wussten nichts zu schätzen,

selbst wenn sie weinten,

beachteten wir keinen.

Wir nahmen alles leicht und alles war selbstverständlich.

Stillstand.

Und jetzt?

Jetzt in dieser Stay-at-home-Phase denken wir nur an die Dinge,

die wir nun nicht mehr tun.

Mein Mailfach ist voll mit Hausaufgaben -

ich hätt´s nicht gedacht, aber ich wünsch´ mir so doll, dass ich wieder in die Schule darf.

Wünsche mir so, wieder ins Training zu dürfen.

Wünsche mir so, meine Freunde zu treffen.

Mal jemand anderen zu sehen und mit ihm etwas zu machen.

Einmal nicht mehr über dieses Thema zu reden und nicht nur an der eigenen Familie zu kleben.

Die Zeit bleibt stehen -

hört auf magische Art und Weise auf weiterzugehen.

Und wir sollten es vielleicht nicht als Bestrafung, sondern als Möglichkeit sehen.

Stillstand.

Jetzt bemerkt vielleicht der ein oder andere, dass man vieles nur gemeinsam schafft, dass wir alle gleich sind.

Vielleicht wird es eines Tages kein Morgen mehr geben

und wir sollten anfangen wirklich zu leben,

denn die Zeit bleibt wahrscheinlich nie wieder so stehen

Stillstand.

Aber vielleicht, ganz vielleicht,

haben wir nach all dem bald den Punkt erreicht

wo man sich im Supermarkt nicht mehr ausweicht.

Vielleicht, ganz vielleicht,

singen wir alle auf den Dächern und Balkonen unserer Häuser, irgendwann,

zusammen. Vielleicht machen wir dann nicht alles im Alleingang.

Und vielleicht, ganz vielleicht,

haben wir nach all dem bald den Punkt erreicht,

wo wir nicht mehr über jeden und alles schlecht reden

und wir vielleicht irgendwann gemeinsam nach einem glücklichen Leben streben.

Anna Stock: Lila Wolken

2012 war »Lila Wolken« des deutschen Rappers Marteria ein Spätsommerhit und stand im Herbst des Jahres auf Platz 1 der deutschen Singlecharts. Für Anna Stock gab der Song den Anstoß, ihr Lebensgefühl und die Hoffnung der Vierzehnjährigen nach wochenlangem Kontaktverbot wegen Corona in ihrem ganz eigenen Ton wiederzugeben. ()

Wir bleiben wach.

So lange wach, stellen uns auf ein Dach und schauen rauf.

Rauf in den glänzenden Himmel, wo es in den Fernen von Sternen nur so wimmelt,

Wo einen dieses dunkle Etwas irgendwann überkommt und man doch prompt

so geblendet von diesen funkelnden kleinen Dingern ist.

Hell im leichten Pastell und doch so leuchtend grell, dass ich denke ich werde blind.

Ja, wir bleiben wach bis die Wolken wieder lila sind.

Wir bauen uns einen riesigen Palast aus tausenden Träumen und perfekten Plänen.

Ohne Tränen, ohne uns zu beklagen, etwas aus Frust zu vertagen oder geschweige denn zu versagen.

Es stimmt, ich will einfach nur, dass man einmal gewinnt.

Denn wir haben ja Zeit bis die Wolken wieder lila sind.

Wir lassen überdimensional große, Mega-Luftballons steigen.

Rot, Grün, Gelb, Blau, um zu zeigen wie frei wir doch sind,

Rot um zu zeigen wie viel Liebe ich doch kriege,

Grün um zu zeigen wie glücklich man über kurz oder lang doch sein kann.

Denn im Endeffekt ziehen wir doch eigentlich alle am selben Strang.

Gelb, um zu zeigen, dass jeden Tag die Sonne für uns aufgeht,

die Erde sich so lange um sie dreht bis sie wieder am Horizont steht.

Ein neuer Tag beginnt,

Wir bleiben wach bis die Wolken wieder lila sind.

Und ich bin mir sicher, dass wir vielleicht irgendwann von unserem Dach fallen.

Wir fallen hart, doch landen weich.

Damit wir aufwachen.

Aufwachen, einmal tief Luft holen, unser Tun überdenken, uns eine neue Chance schenken, in eine andere Richtung lenken und dann vielleicht sogar anders weitermachen.

Wir warten einfach so lange, bis die Wolken wieder lila sind.

Und dann?

Dann lass uns mal ein Feuerwerk machen,

wir lassen es so richtig krachen,

wir lachen,

dass die anderen aufwachen.

Aber die werden uns schon verzeihen.

Wir stehen ja alle irgendwann auf,

denn unser Tag nimmt irgendwann sowieso seinen Lauf,

Es kommt der Moment, wo wir nach Freiheit streben,

jubelnd unsere Hände heben,

mit tosendem Applaus, ganz hoch hinaus

und für einen kurzen Augenblick mal stolz sind auf unser Leben,

Ja so etwas verzeiht man, so einen Moment.

Und dann machen wir alle zusammen Party bis die Wolken wieder lila sind.

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