U-20-Poetry Slam in Miltenberg voller Erfolg
Carro Göbel gewinnt, aber alle sind Sieger
Um das Ergebnis geht es bei solchen »Dichterschlachten«, die exakt am Tag der Veranstaltung ihr 25-jähriges Bestehen in Deutschland feierte, nur am Rande. Die vergebenen Punkte, vor allem aber die mehr oder weniger subjektiv gemessene Phonzahl wären dafür auch ein untauglicher Maßstab.
Ernst und Witz nahe beieinander
Auch die charmante, witzige Moderatorin Annika Hofmann aus Ronneburg, mit ihren 23 Jahren fast schon ein Profi auf den Slambühnen, war sichtlich von den Texten und den Auftritten der oft noch sehr jungen Mädchen beeindruckt und nahm das Endergebnis nicht ernster als nötig.
14 Jahre alt sind Luise Krause und Marie Hornig aus Miltenberg. Luise erzählte in einer Art Bewusstseinsstrom ihre Eindrücke, als sie im dunklen Keller Rollschuhe und Koffer findet und dabei intensiv an ihre Kindheit erinnert wird. Maria hatte einen sensiblen Text mit dem Titel »T.O.D.« mitgebracht und stellte eine Liste der Tätigkeiten auf, die man vor dem Tod auf jeden Fall noch abhaken sollte - beispielsweise einen rosa Elefanten umarmen. Hier wird schon deutlich: Die Vorträge changierten oft zwischen ernsten Passagen und witzigen Momenten - einer der größten Vorzüge guter Poetry-Slam-Beiträge.
Sehr beeindruckt waren die Zuhörer, als die 13-jährige Julia Ziegler aus Heppdiel ihre »11 Prozent« vortrug, einen rhythmischen Text über die fast 90 Prozent, die wir im Alltag nicht wahrnehmen - nicht von Ereignissen und schon gar nicht von unseren Mitmenschen.
Kritik an Erwartungsdruck
Viel weniger Stilmittel verwandte der einzige männliche Teilnehmer, der 15-jährige Nils Dahlbüdding aus Großheubach, als er seinen eher dystopischen Prosa-Beitrag über die Leistungsgesellschaft mit ihrem permanenten Erwartungsdruck performte.
Mit viel Erfahrung und dem Bemühen um authentischen Auftritt beendete die 19-jährige Carro Göbel aus Mannheim den ersten Teil. Die Psychologiestudentin stand für Frankfurt bei den deutschsprachigen U-20-Meisterschaften in Erfurt vor sechs Wochen im Finale. Sie dachte über die Werte in unserer Gesellschaft nach und punktete offenbar auch mit ihrem selbstkritischen Refrain »Ich bin wertlos«.
Erinnerungen an Schulzeit
Nach der Pause war zunächst Pauline Becker aus Miltenberg, mit ihrem nachdenklichen, recht zurückhaltend performten »Die Macht der Worte« zu hören, bevor Mona Henn aus Richelbach die Herzen der Zuhörer mit ihrem Plädoyer berührte, die Flüchtlinge nicht als Masse zu sehen, sondern als einzelne Menschen, die Schutz, Hilfe und Menschlichkeit brauchen. Ein überzeugender Auftritt der erst 14-jährigen Schülerin.
Ganz anders der Vortrag von Linda Kolb. Die 17-Jährige aus Neunkirchen brachte die Zuhörer mit ihren etwas skurrilen, aber offenbar durchaus nachvollziehbaren Erlebnissen im Schulalltag und bei Klassenfahrten zum Lachen und traf mit den bewussten Übertreibungen den Nerv der Zuhörer, die sich vielleicht an ihre eigene Schulzeit oder an die ihrer Kinder erinnerten. Einer der Höhepunkte an diesem rundum gelungenen Abend: der Auftritt der erst 13-jährigen Anna Stock aus Mainaschaff.
Unverwechselbarer Stil
Vielleicht angeregt von Greta Thunberg, aber mit einem ganz unverwechselbaren eigenen Stil hielt sie eine flammende Rede gegen die Umweltzerstörung - ganz ohne Selbstgerechtigkeit, mit ehrlicher Empörung und im mitreißenden Rhythmus: »Ich kann es nicht glauben, dass Menschen in alles einen Akku bauen, und sich dann noch trauen darauf stolz zu sein. Baut doch gleich einen Akku in euer Brötchen, damit es euch sagt, wann ihr euren Mund aufmachen müsst.«
Einen intensiven, ruhigen und klugen Abschluss der Vorrunden bot Aura Comaniciu, 17 Jahre, aus Miltenberg, mit dem »ich bin der Mensch, der morgen noch an heute denkt« als roten Faden im dichten, nachdenklichen Text.
Die Punktabstände waren sehr knapp, mit denen Aura Comaniciu, Anna Stock und Carro Göbel ins Finale einzogen - noch knapper, objektiv gesehen kaum feststellbar war der Beifall, der schließlich das Finale entschied und die 19-jährige Carro Göbel zur Siegerin kürte.
U 16 oder Männerquote
Aber wie gesagt: Die Wertung ist beim Poetry Slam zweitrangig und alle durften sich als Sieger fühlen. Am Ende war allen klar: Es muss und es wird einen dritten Slam-Abend in Miltenberg geben. Vielleicht denkt man dann darüber nach, einen U-16-Poetry-Slam anzubieten, damit die Altersunterschiede nicht mehr so groß sind - und vielleicht nehmen dann auch mehr Jungen teil, sonst müsste man vielleicht über eine »Männerquote« nachdenken - aber das ist fast schon ein Beitrag für den nächsten Slam!
