Duo Kabbaratz überzeugt in Obernburg mit skurrilen Dialogen und Szenen
»Wo man hinkam war es voll« - auch in der Kochsmühle
Das Kabarett-Duo gehört also zur Generation der »Babyboomer« und genau darüber geht ihr inzwischen angeblich 30. Bühnenprogramm mit dem Titel »Wo man hinkam, war es voll«. Die Premiere stieg zwar schon vor mehr als vier Jahren in Darmstadt, in Coronazeiten fast ohne Auftritte aber war es noch immer taufrisch.
Ehrlicherweise muss man zugeben, dass »taufrisch« für das, mindestens für den Auftritt vor der Pause ein Euphemismus ist. Wer in der ausverkauften Kochsmühle noch immer von ihrem Weihnachtsprogramm »Ich find's so schön, wenn der Baum brennt« vor sechs Jahren in Obernburg schwärmte, dürfte von den anfangs langen und auch etwas drögen Soloauftritten etwas enttäuscht gewesen sein. Wenn alt gewordene Lehrer heute in einem ähnlichen Stil Geschichte unterrichten, kommentieren das Schüler mit »Opa erzählt vom Krieg«. Das ist natürlich ein bisschen boshaft und auch nicht ganz gerecht, weil sie die Ironie und die sprachliche Zuspitzung dabei nicht würdigen. Aber innovativ und einfallsreich ist es tatsächlich nicht, im Erzählton von eigenen Erfahrungen in den Familien, den Schulen und den Universitäten in den späten 60er- und den 70er-Jahren einfach zu erzählen und darauf zu hoffen, dass die Zuhörer - viele von ihnen selbst »Babyboomer« - manches wiedererkennen und das durch ihr Lachen bestätigen.
Strohtrockener Humor
Sobald die beiden allerdings zu ihrer Stärke zurückkehrten, den szenischen Darstellungen und den Dialogen mit oft strohtrockenem Humor, wuchs die Begeisterung im Publikum und pointierte Passagen wurden lautstark beklatscht. Das Frühstücksgespräch des Ehepaars mit einem Rowlingroman vor ihrem und der »Zeit« vor seinem Gesicht nach dem Auszug der erwachsenen Tochter weckte einen zum Brüllen komischen Wiedererkennungseffekt, vor allem als Hoffmanns Mutter wie ein Damoklesschwert über dem Frühstückstisch hing - Vorsicht: fragwürdiges Sprachbild! - und Wendler fast in den Wahnsinn trieb. Aber keine Sorge, die beiden werden zusammenbleiben, auch weil sie in der Ehe die Maxime gelten lassen: »Wenn es auszuhalten ist, bleib dabei!«
Ein echtes Highlight: Der Ho-Chi-Minh-Protest im bunten Plastik-Regenoutfit der 70er-Jahre mit einer teils brillanten Montage und Collage zeitgenössischer Versatzstücke aus Werbung, Schlagern und Nachrichten, mündete nahtlos in Hoffmanns Gebetshaltung vor Willi - vor Willy Brandt oder vor Willi, dem Gefährten der Biene Maya? Egal, die Szenen waren rundum gelungen und höchst unterhaltsam, genau wie die satirische »Entlarvung« Hoffmanns als »Rassist« von Kindesbeinen an - in Wahrheit eine gelungene Sprach-Parodie auf Auswüchse von Political Correctness in unseren Tagen.
Inzwischen hatte das Niveau des »neuen« Programms längst das seiner Vorgänger erreicht, auch beim Räsonieren des auf uralt getrimmten Paares über die »digital natives«, die heutige »Generation Z«. Man konnte fast erschrecken, wenn man beim Zuhören in sich den Impetus feststellte, dem Rentnerpaar Recht zu geben, als es sich über den Digitalisierungshype mokierte, Sideboard mit Smartboard gleichsetzte, nur um dann vor der schwierigen Entscheidungsfrage zu stehen: Bin ich schon genau so alt und von gestern, oder könnte es sein, dass die mit ihrer ultrakonservativen Einstellung nicht auch ein bisschen Recht haben?
Kurz vor 22 Uhr war klar: Kabbaratz hat durch die Coronapause keinen Schaden genommen und spielt auch im 30. Programm nach einem etwas längeren Anlauf schnell wieder seine großen Qualitäten aus: Erkenntnisgewinn in unterhaltsamer Form. Am Ende gibt es sogar wichtige Fragen als Gepäck mit auf den Heimweg. Bescherung also schon am 10. Dezember. Was will man mehr?
