Mit 71 Jahren weder zahnlos noch altersmilde: Kabarettist Arnulf Rating in Obernburg

Boshaftigkeit mit Sprachwitz

Obernburg
2 Min.

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Gestik und Mimik waren weniger provokant und drastisch als der Text in Arnulf Ratings neuem Programm.
Foto: Heinz Linduschka
Mit sei­nem neu­en Pro­gramm »Zir­kus Ber­lin« füll­te Ar­nulf Ra­ting am Sonn­ta­g­a­bend die Kochs­müh­le in Obern­burg fast bis auf den letz­ten Platz. Es ist das 16. So­lo­pro­gramm in den 30 Büh­nen­jah­ren des heu­te 71-Jäh­ri­gen, der in Mühl­heim an der Ruhr ge­bo­ren wur­de und seit gut 50 Jah­ren in die­sem »Zir­kus« lebt.

Es gibt kaum einen wichtigen Kabarettpreis, den Rating nicht erhalten hat. 2019 formulierte die Jury des Bayerischen Kabarettpreises sehr treffend, wodurch sich seine große Kleinkunst auszeichnet: »In seinen zahlreichen Kabarettprogrammen seziert Arnulf Rating die Behauptungen von Politik und Medien und bricht sie auf das herunter, was sich oft hinter dem marktschreierischen Gedröhne verbirgt: Verfälschungen, Überspitzungen, Panikmache und Desinformation. Er betreibt Aufklärung im besten Sinne und mit dem effektivsten Werkzeug: dem Humor, der durch seinen Hintersinn immer wieder für überraschende Erkenntnisse sorgt.«

Viel Feind, viel Ehr'

Genau darum geht es in »Zirkus Berlin« und wer gefürchtet oder gehofft hatte - je nach Interessenlage -, mit 70 plus werde bei Rating die Altersmilde einkehren, merkt in der Kochsmühle schon nach den ersten Sätzen, dass eher das Gegenteil der Fall ist. »Der Botschafter der Demokratie aus Berlin« verspricht hoffnungsvoll, dass am Mittwoch die »gelben Säcke abgeholt« werden - und jeder wusste, wer gemeint war.

Wenn »viel Feind« »viel Ehr'« bedeuten, dann ist Rating der »Ehrenmann« schlechthin - und das ohne Ansehen der Person oder der Partei. Schröder wird zum »Gasableser aus Moskau«, Lachsalven in Obernburg, als der Kabarettist die Zeitungsmeldung »Terroristen wollten Lauterbach entführen« mit der Frage in Zweifel zieht: »Wer zahlt für den Lösegeld?« Die Sicherheitskonferenz ist für ihn die »Waffenhändlertagung in München« und Politiker haben einen Stellenwert unter dem Grasnarbenniveau, schließlich sei das eine »angelernte Tätigkeit wie die Leergutannahme im Supermarkt.«

»In der Kirche ist die Hölle los«

Noch schlechter kommt bei ihm nur noch die katholische Kirche weg, die bei einer der Einblendungen durch ein Plakat »Kardinalfehler« aufs Korn genommen wird, das an die RAF-Fahndungsplakate der 70er Jahre erinnert.

Der Text ist noch eine Spur schärfer und aggressiver und spiegelt sein absolutes Unverständnis, dass beim Aufarbeiten und Sanktionieren der Missbrauchsfälle die Justiz untätig bleibt und das »den Verbrechern selbst überlässt«. Die Vermutung Ratings: Das könnte daran liegen, dass Kirchenmänner und Juristen oft ganz ähnliche Gewänder tragen. Seine Kurzformel lautet: »In der Kirche ist die Hölle los.«

Ein Kabarett-Tsunami

90 Minuten lang würde sich so ein Ton wohl totlaufen. Das weiß der Bühnenprofi, lockert das Ganze mit den oft witzigen Fotos und Karikaturen auf, mit Reimen wie »Wenn du denkst, es geht nicht blöder, kommt ein Spruch von Markus Söder«, und gibt auch den etwas langsameren Zuhörern in seinem Kabarett-Tsunami eine Chance. Und dann hört man ja auch wieder - vermeintlich - positive Passagen wie die über den Wert von Zeitungen, die man nutzen könne, »auch wenn der Akku mal alle ist«.

Die Kombination aus Boshaftigkeit und sprachlichem Einfallsreichtum von »Bild«-Schlagzeilen wird zu einer Art rotem Faden auch in diesem Programm, und ob Ratings Aufruf beim Hochhalten der aktuellen »Main-Echo«-Ausgabe, dieses »Fachblatt« zu abonnieren und für das Weltkulturerbe zu nominieren, ernst gemeint war, kann jeder selbst entscheiden.

Krankes Gesundheitssystem

Bei Rating ist nichts so ganz »alternativlos«, auch wenn sein Eintreten für Pazifismus und Prinzipientreue sehr ernst gemeint scheint, genau wie die Kritik der Coronalockdowns in einer Sonderversion des »Mensch-ärgere-dich-nicht«. Das Gesundheitssystem schont er auch mit 71 nicht.

Der Marketing-Salesmanager Guido Schnapp plädiert dafür, »früheres Ableben« mit einer »Abwrackprämie« zu belohnen. Und wenn er als Dr. Fritz Mabuse mit Begeisterung auch gesunden Patienten eines der 86.000 Medikamente auf dem Markt verschreibt, mündet das in den Rat: »Rufen Sie niemals um Hilfe - es könnte ein Arzt kommen!«

Schonungslos gegen jeden

Bei Ratings Festival des schwarzen Humors bleibt niemand ungeschoren, auch nicht seine »Helden des Alltags«, denn auch für sie gilt, dass die drei großen Vorzüge nie vollständig vorliegen: Auch sie können nicht »ehrlich«, »intelligent« und »staatsgläubig« zugleich sein - eines davon bleibt immer auf der Strecke.

Und was blieb in Obernburg nach knapp zwei Stunden wie in Stein gemeißelt? Der Satz »Das Virus heißt Kapitalismus«, das Plakat auf einem Panzer »Ein Schuss aus dieser Waffe vermindert ihr Krebsrisiko« und eine interessante Kursdefinition von Psychologie: »Wenn jemand 'ne Schraube locker hat, dann liegt das an der Mutter.« Schade, dass Rating mit »Zirkus Berlin« laut seinem Terminplan auf der Homepage https://www.rating.de in unserer Region bis Ende des Jahres nicht mehr zu erleben ist.

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