Ausstellung "Topografien von Flucht und Vertreibung" in Würzburg
Kunstwerke syrischer und irakischer Flüchtlinge in der Zentralbibliothek der Universität
"Topografien von Flucht und Vertreibung" ist die Ausstellung mit Kunstwerken syrischer und irakischer Flüchtlinge überschrieben, zu sehen ist sie bis Ende November. Drei der acht ausgestellten Arbeiten wurden um die Technik der augmented reality ergänzt, über eine App werden die Bilder quasi zum Leben erweckt. Die zugehörigen QR-Codes finden sich neben den Bildern. So soll die Neugier und das Interesse auch junger Besucher geweckt werden, sich auf die Fluchtgeschichten einzulassen. Und ein dritter Baustein kommt dazu: An ausgewählten Terminen können Ausstellungsbesucher mittels virtueller Realität und ergänzender Sinneseindrücke eine Familie im jordanischen Exil besuchen. Insgesamt 15 Mitarbeiter arbeiteten und arbeiten im Projektteam mit. Die Ausstellung war inzwischen in verschiedenen europäischen Ländern zu sehen, aktuell zudem in Jordanien. Gefördert wird das Projekt mit einer halben Million Euro von der British Academy.
Spannend ist die Entstehung, dahinter steht eine Idee der Würzburger Alumna Professor Dr. Yafa Shanneik. Derzeit hat sie eine Gastprofessur an der Lund Universität in Schweden inne, an der Universität Birmingham ist sie Dozentin für Islamwissenschaften. Sie erforscht transnationale Verbindungen und Netzwerke muslimischer Frauen zwischen Europa und dem Nahen Osten und unternahm ethnografische Forschungen in Iran, Kuwait, Bahrain, Jordanien, Deutschland, Großbritannien und Schweden.
In London war Shanneik aufmerksam geworden auf großformatige Gemälde mit lebensgroßen Frauenkörpern der Künstlerin Rachel Gadsden. Sie erfuhr: Ursprünglich entwickelt wurde die Technik des sogenannten body-mapping in Südafrika, um HIV infizierten Menschen ein Werkzeug an die Hand zu geben, Schmerzen möglichst genau zu lokalisieren. In Shanneik wuchs der Gedanke, das Instrument auf die Migrationsforschung zu übertragen: "Der Körper spielt während einer Flucht eine zentrale Rolle. Warum können wir also nicht das body-mapping auch nutzen, um mehr über die Lebenserfahrung anderer Menschen herauszufinden?" Konturen des menschlichen Körpers werden auf Leinwand skizziert und dann mit Symbolen, Objekten und Bildern gefüllt. Shanneik konnte Rachel Gadsden für das Projekt gewinnen. Über ein zufälliges Gespräch in der Berliner U-Bahn entwickelten sich überdies Kontakte zu einer Gruppe geflüchteter Frauen. 2017 entstanden die ersten Bilder.
Von Beginn an war klar, dass die Arbeiten im europäischen Raum ausgestellt werden. Die Kunst stand dabei nie im Vordergrund, sämtliche Beteiligte hatten vor der Projektteilnahme noch nie einen Pinsel in der Hand. Rachel Gadsden lehrte die Frauen einige Grundlagen. Doch, wenn nicht um die Kunst, worum geht es? Professorin Shanneik wollte den Frauen ein Mittel an die Hand geben, um ihre Erfahrungen zu reflektieren. Und: Sie wollte ihnen ermöglichen, ihre Geschichten der Flucht der deutschen Gesellschaft, Hilfsorganisationen, aber auch Politikern zu erzählen - und zwar unmittelbar. "Wollen wir Gesetze ändern, müssen wir die Allgemeinheit über Hintergründe informieren", sagt die 42-jährige Professorin. Im Zuge des Kunstprojekts wurde Shanneik so auch auf Gesetzeslücken im Ehe- und Scheidungsrecht aufmerksam und arbeitet inzwischen mit einem Rechtsprofessor an entsprechenden Fragestellungen.
19 Bilder entstanden insgesamt, acht sind in Würzburg zu sehen. Und auch, wenn es nicht um Kunst per se geht, sprechen die Gemälde in Farbigkeit, Ausdruck und Ästhetik an. Und man fragt sich, wie es jener Mutter heute geht, die auf der Flucht am Strand von Malta für drei Tage ihre Kinder verlor und, bis sie sie wiederfand, selbst zweimal vergewaltigt wurde. Schafften es die Menschen in den viel zu kleinen Booten alle ans rettende Ufer? Wird die Frau, die die Gespräche mit ihren Nachbarinnen im Wohnzimmer in Damaskus so schmerzlich vermisst, im neuen Land Freundinnen finden?
Es geht um persönliche Traumata, um den Verlust der Heimat und um mit der Flucht verbundene Hoffnungen und Erwartungen. Kunst wird zum Mittler, um Empathie zu wecken, um in den Dialog zu kommen, um Vorurteile zu bekämpfen. Shanneik hofft, mit dem Projekt zudem aufzuzeigen, dass es "den" Flüchtling nicht gibt, sondern dass es um eine Vielfalt an Menschen mit komplexen Lebenseinstellungen in unterschiedlichen Lebenswelten geht. Aber ergänzt sie, was alle verbinde, sei die Menschlichkeit.
Infos: Die Ausstellung "Topografien von Flucht und Vertreibung" kann zu den Öffnungszeiten der Zentralbibliothek am Hubland besucht werden: Montag bis Freitag zwischen 8.30 und 24 Uhr sowie an Samstagen und Sonntagen von 9 bis 22 Uhr. Am letzten Ausstellungstag, den 30. November, zwischen 9 und 18 Uhr bietet Professorin Yafa Shanneik zudem noch einmal das begleitete Virtual-Reality-Erlebnis an, dafür kann ein Zeitslot gebucht werden per WhatsApp unter 0046-707321980 oder per Email: yafa.shanneik@ctr.lu.se
